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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Geschichte erzählen.« Dann wendete er sich wieder an Rulosch und fuhr fort: »Ich war einmal, wie vorher mein Vater, Schäfer im Obertal von Barleboog. Dort besaß ich ein Haus mit einem Kräutergarten davor und hatte ein gutes Auskommen von meiner Herde. Auch Eiren stammt aus diesem Dorf. Sie ist die Tochter eines Bauern, der sich besonders auf die Pferdezucht versteht, wie viele in Barleboog. Vor etwa drei Jahren haben wir geheiratet, lebten glücklich zusammen, und Eiren bekam einen Sohn, den wir Barloken nannten, und zwar nach dem Grafen, der früher einmal in unserem Tal Richter war und weitum berühmt gewesen ist als weiser und rechtskundiger Mann. Sein Sohn Fredebar, der nach seinem Tod das Amt übernahm, war da ein wenig anders. Auch er galt als überaus scharfsinnig, aber er kümmerte sich wenig darum, was in den Dörfern geschah. Vor allem, als seine Frau gestorben war, begann er die Dinge treiben zu lassen und saß oben im hohen Schloß von Barleboog, feierte Feste mit seinen vornehmen Freunden und trank mehr, als einem Mann dienlich ist, der Verantwortung für andere zu tragen hat.
    Für uns war das zunächst nicht weiter schlimm; denn in einem kleinen Dorf am Rande des Waldes regeln sich die Dinge zumeist von selbst, wenn man sich an die alten Bräuche hält, und keiner ist sonderlich traurig darüber, daß ihn die Herrschaft in Frieden läßt. Erst wenn Ereignisse eintreten, die weit über die Grenzen des Dorfes hinausreichen, stellt sich plötzlich heraus, daß eine größere Ordnung zerfallen ist, ohne daß es jemand gemerkt hat.
    Das geschah an dem Tag, an dem in der Nacht zuvor ein Wolfsrudel in meinen Pferch eingefallen war und alle meine Schafe zerrissen hatte. Ich hatte den Hund noch bellen hören, doch bis ich aus den Federn war, mir einen Knüppel gegriffen hatte und hinausgelaufen war zu meinen Schafen, war keins von ihnen mehr am Leben. Du wirst vielleicht sagen, ich sei zu sorglos gewesen. Aber ein solches Rudel ist bei uns im Tal noch nie zuvor gesehen worden. Es müssen an die fünfzig Wölfe gewesen sein, die alle auf einmal über die Herde hergefallen waren, und ich habe nicht einmal einen Schwanz von ihnen zu sehen bekommen. Jedenfalls damals noch nicht.
    Als ich dann am nächsten Morgen durch den Pferch ging, um die toten Tiere zu zählen und nachzusehen, ob nicht wenigstens noch ein paar Felle zu retten waren, kam aus dem Wald eine Schar von Männern in Wolfspelzen, die von einer jungen Frau angeführt wurden. Diese Frau, die sehr schön war und Augen von solch blauer Farbe hatte, wie ich sie bisher nur bei den Saphiren gesehen habe, die bei uns im Bach gefunden werden, fragte mich, was hier geschehen sei, und als ich es ihr erzählte, sagte sie, daß ihre Männer Wolfsjäger seien und bot uns ihre Hilfe an. Da nun weder ich noch die Bauern aus dem Dorf imstande waren, so viele Männer in Dienst zu nehmen, brachten wir sie aufs Schloß von Barleboog, damit sich Fredebar der Sache annehme. Soviel wußten wir, daß er nicht die Männer aufbringen konnte, die mit diesem Rudel fertig würden; denn seine Freunde verstanden allenfalls, Rehe und Hasen zu hetzen.
    Ich erinnere mich, daß mir diese Wolfsjäger von Anfang an nicht gefielen. Keiner von ihnen lachte, und sie blickten uns mit ihren gelben Augen an, als seien nicht Wölfe, sondern wir ihre Beute. Damals war ich jedoch wie von Sinnen über den Tod meiner Schafe und konnte keinen anderen Gedanken fassen, als daß diesen Bestien der Garaus gemacht werden müsse, und es war mir gleichgültig, wer sich auf diese Jagd machte. Fredebar war froh, daß diese Männer ihm eine so gefährliche Arbeit abnehmen wollten, und lud sie an seinen Tisch; denn er feierte gerade wieder ein Fest mit gewaltigem Schmausen und Saufen. Die Herrin der Jäger bat er neben sich auf den Platz, den früher seine Frau eingenommen hatte, machte ihr gleich schöne Augen und trank ihr zu, als sei sie schon seine Liebste. Ich ärgerte mich, als ich das sah. Du mußt wissen, daß seine Frau trotz ihrer langen Krankheit mehr für uns in den Dörfern getan hatte als er in all der Zeit seiner Herrschaft. Wie ich ihn also auf solche Weise mit der Fremden tändeln sah, wurde ich wütend, ging ohne Abschied aus dem Saal und verließ das Schloß.
    Das war mein Glück, denn sobald es dunkel wurde, sind im Schloß schreckliche Dinge geschehen. Ich kann dir nicht genau sagen, was sich dort abgespielt hat, denn keiner hat diese Nacht überlebt außer dieser Frau, die sich Gisa

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