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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Weinen eines Kindes. Sie spähte hinaus und sah wenige Schritte weiter, schon fast zugeweht vom Schnee, eine Gestalt liegen. Ohne lange zu überlegen, kroch sie hinaus und entdeckte, daß dieser Beutereiter ein Junge war, nicht viel älter als vierzehn Jahre. Da packte sie ihn bei den Füßen und schleifte ihn in ihren Unterschlupf. Der Junge weinte vor sich hin und schien kaum zu merken, was mit ihm geschah. Als sie ihn in ihre Höhle gebettet hatte, nahm sie ihn in die Arme und wärmte ihn mit ihrem Körper, bis er aufhörte zu weinen und an ihrer Schulter einschlief, die Arme um ihren Hals gelegt wie ein Kind.
    Sie wußte nicht zu sagen, wie lange sie so gelegen hatte, als der Schneesturm ebenso plötzlich abbrach, wie er heraufgezogen war. Der Wind trieb die Wolken über die Paßhöhe davon, gleich darauf war der eisigblaue Himmel leergefegt, und der Neuschnee flimmerte so strahlend in der Sonne, daß es in den Augen schmerzte. Urla rüttelte den Jungen wach und zerrte ihn aus der Höhle. Taumelnd stand er auf und preßte die Hand vor die geblendeten Augen. Urla kniff die Lider zusammen und blickte sich um. Hie und da hob sich ein flacher Hügel im felsigen Gelände ab, aber es waren viel weniger, als die Horde Männer gezählt hatte. Ein Stück weiter bergab kamen drei Pferde mühsam auf die Beine und schüttelten den Schnee aus ihrem Fell. Bei ihnen waren auch zwei Beutereiter, die sich am warmen Bauch ihrer Tiere vor dem Schneesturm geschützt hatten. Das waren alle, die von der Horde am Leben geblieben waren.
    Urla hatte einen Augenblick lang daran gedacht, über die Paßhöhe zurückzuflüchten, aber nach einem solchen Unwetter hätte das in dem meterhoch zusammengewehten Schnee den sicheren Tod bedeutet. So watete sie mit dem Jungen hinunter zu den Männern mit den Pferden. Einen von ihnen erkannte sie wieder. Es war jener, der ihren Mann erschlagen hatte. Sie bemerkte, daß die Reiter den Jungen mit einer gewissen Ehrfurcht begrüßten. Sie schienen erleichtert zu sein, daß er noch am Leben war. Als sie Urla wieder fesseln wollten, trat der Junge dazwischen und sagte etwas zu ihnen, worauf sie von ihr abließen.
    Sie behandelten Urla danach mit so viel Achtung, wie ein Beutereiter einer Frau gegenüber aufzubringen vermag.
    Als der leichteste der drei Überlebenden nahm der Junge Urla zu sich aufs Pferd, und so ritten sie hinunter in die Ebene und noch eine Woche durch die Steppe bis ins Lager der Beutereiter. Ihre Ankunft löste große Trauer aus, und Urla erzählte später, daß sie noch nächtelang die Witwen der toten Reiter habe heulen hören, während sie wach lag und an ihren erschlagenen Mann dachte.
    Sie wunderte sich zunächst, daß man sie als Gefangene nicht in die Sklavenhütten brachte, sondern bei den Frauen des Khan schlafen ließ, und noch mehr war sie erstaunt über die Freundlichkeit, mit der sie von ihnen aufgenommen wurde. Eine ältere Frau nahm sie gar in die Arme und küßte sie, doch was sie sprach, konnte Urla nicht verstehen.
    Am nächsten Tag wurde sie dann vor den Khan geführt. Er hatte ihr am Morgen eine Sklavin geschickt, die aus dem Bergland der Erzklopfer stammte und Urla als Dolmetscherin dienen sollte. In seinem Zelt waren auch noch einige Anführer versammelt, und neben dem Khan saß der Junge, den Urla im Schneesturm gewärmt hatte. Er lächelte ihr zu, als sie vor den Khan trat.
    Der Khan fragte sie zunächst nach ihrem Namen; Urla nannte ihn und setzte hinzu: »Die Witwe des Goldschmieds Russo, den deine Leute erschlagen haben.«
    Der Khan hob erstaunt die Augenbrauen, als ihm diese Rede übersetzt wurde; denn Frauen pflegten sonst in den Zelten der Beutereiter keine solche Sprache zu führen. Dann sagte er: »Mein Sohn Kurgi hat mir berichtet, daß du ihm das Leben gerettet hast. Ich verstehe zwar nicht, warum du das getan hast; denn du hattest allen Grund, ihn wie die anderen erfrieren zu lassen. Aber ich bin nun in deiner Schuld.«
    »Ja«, sagte Urla, »du bist in meiner Schuld, aber am wenigsten wegen deines Sohnes. Bei uns gilt es nicht als bemerkenswerte Tat, wenn einer nicht zuschauen kann, wie ein Kind ums Leben kommt. Allerdings sehe ich schon, daß ihr da anders denkt.«
    »Ich kann mit dir nicht über das Leben deines Mannes rechten«, sagte der Khan. »Es wären allzu viele, in deren Schuld ich sonst stünde. Du bist bei den Beutereitern! Weißt du das nicht? Aber um meines Sohnes willen gebe ich dir die Freiheit. Du darfst im Zelt meiner Frauen wohnen

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