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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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einem Beutezug um. Urla hatte während dieser Zeit mit ihrer Tochter im Hause ihres Vaters gelebt. Als sie hörte, daß Kurgi Khan geworden sei, ließ sie sich eine Hütte in den Bergen bauen, an jener Stelle, wo der Pfad hinunter in die Steppe führt. Ihre Tochter ließ sie bei ihren Eltern zurück, und seither lebte sie allein im Gebirge mit ihrer Schafherde. Nur von Zeit zu Zeit kam ein Verwandter über den Paß zu ihr, um sie mit den nötigen Vorräten zu versorgen. Aber auch Kurgi kam zu Ohren, wo Urla sich jetzt aufhielt, und er besuchte sie häufig, um ihren Rat zu erbitten.«
    »Davon hat mir mein Großvater erzählt«, sagte Lauscher. »Bei einer solchen Gelegenheit hat sie dann deinem Vater ihren Stein gegeben.«
    »Und jetzt hast du ihn«, sagte Rikka. »Damit gehörst du auf gewisse Weise zu unserer Familie. Alle, die den Stein zu Recht besitzen, gehören zu Urlas Familie. Wer ihn aber auf andere Weise an sich nimmt, dem bringt er Unheil.«
    Als sie das sagte, nickte Barlo, als könne er das bestätigen. Rikka blickte ihn fragend an. Da holte Barlo seine Flöte hervor und fing an zu spielen. Er begann mit dem trostlosen Motiv, in dem sich die Trübsal seiner Tage als Knecht im Schloß von Barleboog ausdrückte. Lauscher erkannte diese Tonfolge wieder und wurde von dem, was Barlo nun spielte, so gefesselt, daß er den Ablauf der Geschichte, die Barlo mit seiner Flöte erzählte, fast greifbar vor sich sah, zumal er manches selbst erlebt hatte. Gisa trat in den Stall, gab Barlo den Beutel und befahl ihm, diesen Plunder auf den Abfall zu werfen. Barlo ahnte jedoch, wem der Beutel gehörte. Er öffnete ihn, und sobald er seinen Inhalt erblickte, spürte er, daß diesen schimmernden Stein ein Geheimnis umgab. Vielleicht hatte ihn Gisa ihrem Gast weggenommen, um ihn seiner Macht zu berauben? Macht! Das mußte es sein, was dieser Stein unter seiner glatten Oberfläche verbarg. Einen Augenblick spielte Barlo mit dem Gedanken, den Beutel seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben und ihn damit gegen Gisa zu stärken. Doch dann erlag er der Versuchung, diese Macht für sich zu behalten. Dies schien ihm der einzige Weg zu sein, wie er sich aus seinem armseligen Dasein als Pferdeknecht befreien könne. Sein Haß auf die Herrin von Barleboog, den er schon fast überwunden hatte, loderte wieder auf und hüllte seinen Verstand ein wie eine Flamme. Barlo trug den Stein bei sich und wartete, daß etwas geschehen würde, aber nichts geschah, nichts veränderte sich. Und dann ertappte ihn der Verwalter, wie er den Stein wieder einmal beschwörend anstarrte, damit er endlich seine Macht erweise. Barlo wurde vor Lauschers Richterstuhl geschleppt, unerreichbar lag der Stein auf dem Gerichtstisch, und dennoch versuchte Barlo in einer letzten, verzweifelten Anstrengung, diesen Richter auf seine Seite zu zwingen. Doch er blieb machtlos wie zuvor und wurde zur Stummheit verurteilt. Wieder riß an dieser Stelle die Flötenmelodie jäh ab, daß jeder im Raum den Schnitt spüren konnte, mit dem der Sprache dieses Mannes ein Ende gesetzt worden war.
    Der Schmied und seine Frau hatten wohl begriffen, daß hier von heimlichem Triumph, von der Versuchung der Macht und von grausamer Bestrafung berichtet worden war, doch worum es im einzelnen ging, hatten sie nicht verstehen können. So kam Lauscher zum ersten Mal seiner Aufgabe als Dolmetscher nach und erzählte, was er beim Spiel der Flöte gesehen hatte. Als er damit zu Ende war, gab Barlo zu erkennen, daß er genau dies habe sagen wollen.
    »Ich kann gut verstehen, was du getan hast, Barlo«, sagte Furro. »Aber euch beiden wäre viel Unheil erspart geblieben, wenn du Lauscher den Stein zurückgegeben hättest.«
    Barlo nickte. Aber dann setzte er noch einmal die Flöte an die Lippen und spielte wieder sein trostloses Knechtschaft-Motiv. Doch diesmal knüpfte er daran eine gelöste Melodie, die sich aus den Fesseln dieser wenigen Tonschritte befreite.
    »Ich glaube, ich habe dich verstanden«, sagte der Schmied. »Du könntest dann zwar noch sprechen, aber du wärst weiter Pferdeknecht bei der bösen Herrin geblieben und könntest nicht frei über Land reiten, wie du es jetzt tust.«
    Lächelnd bestätigte Barlo diese Deutung.
    »Es ist gut, daß du wieder über Land reitest«, sagte der Schmied noch einmal. »Das wird vielen in Barleboog Hoffnung geben, wenn es ihnen zu Ohren kommt.«
    Barlo schien diese Äußerung nicht weiter zur Kenntnis zu nehmen, und bald darauf legten sich

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