Stein und Flöte
Trost zusprechen ließ.
»Die Frau kommt so sicher zurück, wie ich hier vor dir stehe«, sagte der Mäuserich mit Bestimmtheit.
»Das möchte ich nur zu gerne glauben«, sagte Steinauge. »Kannst du mir sagen, wie du heißt, damit ich weiß, wer hier wie ein guter Freund zu mir gesprochen hat?«
Da senkte der Mäuserich den Kopf und sagte: »Bisher habe ich noch nie etwas Bemerkenswertes getan. Ich habe noch keinen Namen.«
Steinauge fand das erstaunlich bei einem Mäuserich von solch zäher Beharrlichkeit. Offenbar hatte man diese Eigenschaft bei seinen Leuten bisher noch nicht bemerkt. Selbst im Blick des Zirbel, der neben dem graupelzigen Winzling im Gras lag, schien sich so etwas wie Verwunderung auszudrücken. Steinauge nahm ihn in die Hand und sagte: »Was meinst du dazu, Zirbel? Bei den Mäusen ist es offenbar schwieriger, einen Namen zu erwerben, als bei den Menschen.«
»Wundert dich das?« sagte der Zirbel und bekam einen spöttischen Zug um die Mundwinkel. »Du solltest doch eigentlich wissen, wie es einem ergehen kann, wenn man zu früh einen großen Namen erhält. Aber dieser wackere Mäuserich hat sich jetzt wahrhaftig einen verdient. Ich weiß auch schon einen.«
»Wenn du das sagst, dann ist wirklich die Zeit dazu gekommen«, sagte Steinauge. »Bei dir kann man sicher sein, daß du noch nie etwas übereilt getan hast. Gib also meinem Freund jetzt einen Namen, damit ich ihn damit anreden kann.«
Da blickte der Zirbel den Mäuserich mit seinem blanken, holzbraunen Auge an und sagte: »Du hast eine Eigenschaft, Junge, die ich sehr schätze und die wahrhaftig bemerkenswert ist. Danach will ich dich nennen, und so sollst du künftig ›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹ heißen.«
Sicher errötete der so benannte Mäuserich in diesem Augenblick vor Stolz und Verlegenheit, aber das konnte man natürlich durch sein dichtes, samtfeines Fell nicht sehen. Er verbeugte sich tief und sagte: »Ich danke dir, du Uralter, für diese Ehre und will versuchen, so zu sein, wie mein Name lautet.«
»Schon gut, schon gut«, sagte der Zirbel. »Du brauchst keine großen Sprüche zu machen, ich habe ja schon gesehen, was du für einer bist. Dieser Bocksbeinige hier sollte sich ein Beispiel an dir nehmen, obwohl man meinen sollte, daß er das Warten inzwischen gelernt hat.«
»Dann will ich mich beeilen, daß er nicht zu lange auf seinen Stein zu warten braucht«, sagte der Mäuserich, verbeugte sich und huschte davon.
Kaum war er im Unterholz verschwunden, da kam eine fette Maus langsam durch das Gras herangetrottet, blickte sich schläfrig blinzelnd um und sah schließlich den Bocksbeinigen unter den Büschen sitzen. »Was machst du denn hier?« fragte sie verwirrt. »Ich träume wohl noch! Du müßtest doch eigentlich über der Quelle stehen!«
»Müßte ich das?« sagte Steinauge lachend. »Warum denn?«
»Du bist doch nur eine Steinfigur!« sagte die Maus und rieb sich die Augen.
»Sehe ich so aus?« sagte Steinauge. »Du hast wohl einiges versäumt, seit du dich gestern zu einem Verdauungsschläfchen niedergelegt hast.«
»Du lieber Himmel!« rief die Dicke. »Dann bist du also wirklich aufgewacht? Das muß ich schnell dem Hüter des Steins melden! Welche Ehre wird das für mich sein, welche Ehre!«
»Du brauchst dich nicht zu übereilen«, sagte Steinauge. »›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹ ist schon unterwegs, und so, wie du beschaffen bist, wirst du ihn wohl kaum noch einholen können.«
»›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹? Wer soll denn das sein?« fragte die Dicke bestürzt.
»Das solltest du doch am besten wissen«, sagte Steinauge. »Ich meine den Mäuserich, der hier mit dir gewacht hat. Du hast eben versäumt, Zeuge zu sein, wie er diesen Namen bekommen hat.«
»Dieser Wichtigtuer!« sagte die Dicke ärgerlich. »Er hätte mich wenigstens wecken können! Nun muß ich hinter ihm herlaufen, bis ich Seitenstechen bekomme!« Und damit wandte sie sich zum Gehen und hoppelte in schwerfälligem Trab davon.
»Lauf nur!« rief ihr Steinauge nach. »Das wird dir guttun!«
Dann saß er wieder reglos unter dem Erlenbusch und spähte hinaus ins Tal, ob sich nicht doch irgendwo in der dunstigen Ferne eine Spur der Frau zeigen wollte. Er hatte den Zirbel vor sich auf den Boden gestemmt und das Kinn auf den knotigen Knauf gestützt. Dabei stieg ihm, ohne daß ihm dies zunächst bewußt wurde, der süße, harzige Duft aus dem Wurzelholz in die Nase, lockend und verheißungsvoll, ein Geruch, der
Weitere Kostenlose Bücher