Stein und Flöte
›Gefällt es dir so wenig bei mir, Arnilukka‹, sagte sie, ›daß du dich ohne Abschied davonmachen willst? Und eine meiner Mägde hast du mir auch noch abspenstig gemacht? Weißt du, was ich mit solchen Dienstboten tue, die sich gegen meinen Willen stellen? Nein? Dann werde ich es dir zeigen!‹ Sie streckte ihre Hand vor, an der ein grüner Stein im Mondlicht aufblitzte, und im gleichen Augenblick stand statt der Magd ein großer Hund an meiner Seite, heulte auf und kroch am Boden auf seine Herrin zu. ›So gefällst du mir schon besser, Lingli!‹ sagte Narzia. Doch als der Hund sich an sie drängte und mit dem Schwanz wedelte, als wolle er sie bitten, die Verwandlung rückgängig zu machen, stieß sie ihn mit dem Fuß weg und schrie: ›Lauf zu den andern, die nachts ums Haus streichen!‹ Dann schaute sie mich an und sagte: ›Und was ist mit dir? Willst du wieder einmal spüren, wie es ist, wenn der Falke eine Maus jagt? Es könnte allerdings sein, daß er diesmal seine Krallen etwas tiefer einschlägt!‹
Ich stand wie festgebannt an der Stelle, an der sie uns ertappt hatte, zitterte am ganzen Leib und brachte kein Wort über die Lippen. Narzia schaute mich eine Weile spöttisch an und sagte dann: ›Hast wohl doch noch genug vom letzten Mal? Dann marsch ins Haus mit dir!‹ Ohne sich noch einmal umzublicken, ging sie zurück zu den Häusern, und ich folgte ihr, als zöge sie mich an einem unsichtbaren Strick hinter sich her.
In dieser Nacht machte ich kein Auge zu. Während ich draußen Narzias Hunde knurrend durchs Gebüsch traben hörte, verstand ich erst richtig, was Lingli zu mir über dieses Haus gesagt hatte. Ich zitterte allein schon bei dem Gedanken, Narzia am nächsten Morgen wieder zu begegnen, und fragte mich, ob früher auch die anderen Hunde einmal solche Dienstboten gewesen waren, die sich dem Willen ihrer Herrin nicht gefügt hatten, und das schien mir so wahrscheinlich, daß ich auf einmal jede Furcht vor ihnen verlor; ich meinte wohl, daß jeder mein Freund sein mußte, dem Narzia dergleichen angetan hatte. Auf jeden Fall beschloß ich noch in dieser Nacht, Lingli zu helfen, so gut ich es vermochte.
Beim ersten Morgengrauen öffnete ich mein Fenster, das ich bisher aus Furcht vor den Hunden nachts stets geschlossen gehalten hatte, und kletterte hinaus ins Freie. Die Hunde waren nirgends zu sehen, obwohl sie sonst um diese Zeit noch immer ums Haus strichen. Da rannte ich hinüber zu den Büschen hinterm Haus und rief leise nach Lingli. Eine Weile blieb alles still, doch dann kam vom Wald her raschelnd etwas durch das alte Laub am Boden gelaufen, und gleich darauf sprang aus dem Unterholz eine gewaltige Hündin geradewegs auf mich zu. Ob das Lingli war? Ich wußte es nicht, aber ich blieb stehen, obgleich mich jetzt doch wieder das Zittern überkam vor diesem unheimlichen Tier.
Die Hündin blieb tänzelnd vor mir stehen, stupste ihre feuchte Nase auf meine herabhängende Hand, lief dann ein Stück auf den Wald zu, blickte sich um, und als sie sah, daß ich noch immer an der gleichen Stelle stand, kehrte sie zurück und versuchte mich durch sanfte Stöße mit dem Kopf zu den hohen Bäumen hinüberzudrängen. Endlich begriff ich, daß ich mit ihr gehen sollte, und lief ihr voraus ins dichte Unterholz. Dort lagen die anderen Hunde beieinander, insgesamt noch weitere sechs Tiere, und spähten gespannt hinüber zu den Häusern.
Als auch die Hündin sich zu ihnen legte, setzte ich mich neben sie und kraulte ihr Fell. So saßen wir eine ganze Weile beieinander, und ich wußte nicht recht, was nun weiter werden sollte. Als ich einmal aufzustehen versuchte, knurrten die Hunde, und die Hündin, die ich für Lingli hielt, legte ihren Kopf auf meinen Schoß, so daß ich sitzen bleiben mußte. Bei alledem verhielten sich die Hunde völlig ruhig, obwohl sie hellwach waren. Ihre Anspannung übertrug sich nach und nach auch auf mich, und schließlich war mir zumute, als müsse jeden Augenblick ein Gewitter losbrechen, obgleich am Himmel keine Wolke zu sehen war. Nur ein riesiger Schwarm von Krähen kreiste über den Häusern, und ihr Geschrei machte die Stimmung an diesem Morgen noch unheimlicher.
Inzwischen stand die Sonne schon hoch über den Häusern, und ich überlegte gerade, was Narzia wohl unternehmen würde, wenn sie mich vermißte, da hörte ich plötzlich von der Steppe her Hufgetrappel wie von einer großen Reiterschar und gleich darauf gellendes Geschrei. Nun ahnte ich, was die Hunde
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