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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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beschloß ich, die Flöte nicht länger in meinem Zimmer aufzubewahren, sondern irgendwo im Haus zu verstecken, wo sie keiner finden konnte. Der Dachboden schien mir der richtige Ort dafür, und dort steckte ich die Flöte in den Spalt zwischen zwei Balken, in den sie genau hineinpaßte. Ich hatte mir vorgenommen, sie nicht in diesem Haus zu lassen, wenn ich einmal nach Arziak zurückkehren würde.
    Doch damit wurde es vorderhand nichts, denn man ließ mich keinen Schritt allein außer Haus gehen. Wenn ich ausreiten wollte, gab mir Narzia einen ihrer Männer mit, der mir nicht von der Seite wich, und nachts liefen ihre Hunde ums Haus, und die waren so riesig und unheimlich, daß ich mich nicht hinausgewagt hätte.
    Anfangs rief mich Narzia öfter zu sich und forderte mich auf, ihr von Arziak zu erzählen, den Werkstätten der Goldschmiede etwa, den Erzgruben, oder sie fragte mich, ob manchmal fremde Leute ins Dorf kämen. An der Art, wie sie sich scheinbar beiläufig nach diesem und jenem erkundigte, merkte ich bald, daß sie von mir Dinge zu erfahren hoffte, die mein Vater ihr verschwiegen hatte, und deshalb sagte ich ihr jetzt nur noch, was sie ohnehin schon wissen mußte. Ich kam mir bald vor wie eine alte Frau, die immer die gleichen alten Geschichten erzählt. Mit der Zeit merkte sie das wohl und ließ mich nicht mehr so oft kommen, aber seither erhielt ich unter allerlei Vorwänden nie mehr die Erlaubnis auszureiten.
    Später dann, als schon Schnee lag, kam sie eines Morgens in mein Zimmer und forderte mich auf, sie zur Jagd zu begleiten. ›Dein Pferd ist schon gesattelt und steht im Hof‹, sagte sie. Ich freute mich, endlich einmal wieder vor die Tür zu kommen, zog mir rasch die Pelzsachen an, die man mir für den Winter gegeben hatte, und lief hinaus. Narzia saß schon zu Pferde, und an ihrem Sattelknauf hingen ein Jagdbogen und ein Köcher mit Pfeilen.
    ›Reiten wir allein?‹ fragte ich. Narzia lachte und sagte: ›Wenn du mit mir reitest, brauchen wir keinen Aufpasser. Jetzt zeig mir, wie du reiten kannst!‹ Sie hieb ihrem Pferd die Fersen in die Seite, preschte zum Tor hinaus, und ich hinterher. Eine Zeitlang ritten wir um die Wette, immer am Rand der Steppe entlang, links von uns Gebüsch und Birken, rechts die endlose schneeglänzende Ebene. Einmal wäre es mir fast gelungen, sie zu überholen, doch da beugte sie sich über den Hals ihres Pferdes und flüsterte ihm etwas ins Ohr, und im nächsten Augenblick schien es über den harschen Schnee zu fliegen, als hätte es Flügel.
    Bei einer Blockhütte am Waldrand hielt sie an und stieg ab. Als ich heranritt, sagte sie: ›Hier lassen wir unsere Pferde zurück, damit ihr Getrampel das Wild nicht verscheucht.‹ Wir führten die Pferde in einen Stall an der Rückseite der Hütte, rieben sie mit Stroh ab und warfen ihnen Decken über. Narzia nahm Bogen und Pfeile, und dann gingen wir vorsichtig am Waldrand weiter. Nach einer Weile blieb Narzia stehen und flüsterte: ›Dort vorn in den Büschen steht ein Reh: Warte hier, bis ich auf der anderen Seite bin, und dann treibe es auf mich zu!‹
    Sie lief leichtfüßig über den Schnee, umrundete das Waldstück, das sich hier wie eine Zunge in die Steppe hinausstreckt, und verschwand hinter dem Gehölz. Zum erstenmal, seit ich bei Arnis Leuten lebte, war ich allein. Dies schien mir die Gelegenheit zur Flucht zu sein, auf die ich so lange gewartet hatte. Ohne mich lange zu besinnen, stürzte ich mich geradewegs ins Gebüsch, daß mir die Zweige um die Ohren schlugen, und rannte auf den bewaldeten Hang zu, der dunkel hinter den kahlen Zweigen der Birken in den Himmel stieg. Ich rannte und rannte, und dann wurde es vor mir wieder heller, und ich entdeckte zu meinem Schrecken, daß ich noch ein offenes Schneefeld überqueren mußte, das dieses Gehölz vom Bergwald trennte.
    Sobald ich im Freien war, sah ich weiter rechts am Ende der Buschinsel Narzia stehen, als habe sie dort auf mich gewartet. Sie lief mir nicht nach, als ich weiter über den knirschenden Schnee rannte, aber ich spürte den Blick ihrer grünen Augen im Genick. Und dann war ich auf einmal eine Maus, rannte noch immer um mein Leben, aber der rettende Wald lag unendlich weit entfernt am Horizont, und hinter mir hörte ich einen Falken schreien, dessen Schatten gleich darauf über mich hinwegglitt. Ich versuchte noch, nach der Seite auszubrechen, aber da stieß er schon herab und packte mich mit seinen Fängen.
    Als ich wieder zu mir kam, lag ich im

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