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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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mußten sich gestritten haben, denn ich sah gleich, daß mein Vater wütend war. Narzia begrüßte mich zwar mit freundlichen Worten, aber ihre Augen blickten hart wie die eines Falken, der eine Beute erspäht. ›Man hat mir von dir berichtet‹, sagte sie, ›daß du diesen Ort am Rande der Steppe besonders liebst. Ist das wahr?‹
    ›Ja‹, sagte ich und erzählte ihr, wie ich mich jedesmal auf den Besuch bei meinem Großvater Arni gefreut hätte. ›Ich weiß nichts Schöneres, als über die Steppe zu reiten‹, sagte ich, ›wo man nichts andres sieht als Gras und Himmel, so weit man schauen kann.‹
    ›Siehst du‹, sagte Narzia zu meinem Vater, ›sie würde am liebsten hierbleiben‹.
    Mein Vater blickte sie zornig an und sagte: ›Laß das Kind aus dem Spiel!‹
    ›Warum denn?‹ antwortete Narzia mit kaltem Lächeln. ›Glaubst du denn, ich verzichte bei diesem Spiel freiwillig auf eine Figur, die mir Vorteile bringt?‹ Dann wendete sie sich wieder an mich und sagte: ›Würdest du gerne bei Arnis Hütte bleiben?‹
    Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Die Aussicht, täglich in die Steppe hinausreiten zu können, schien mir verlockend, doch ich begann zugleich auch zu ahnen, daß Narzia mich auf irgendeine Weise für ihre Zwecke benutzen wollte. ›Wenn es mein Vater erlaubt‹, sagte ich deshalb vorsichtig.
    ›Nun?‹ fragte Narzia und schaute meinen Vater an, ›willst du ihr die Erlaubnis nicht geben?‹ und als mein Vater nur stumm den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: ›Schäme dich, Promezzo, daß du ihr diese Freude verderben willst! Ich werde das Kind auf jeden Fall hierbehalten, und das weißt du auch. Vielleicht wird dich das künftig daran hindern, mit anderen Händlern Verbindung aufzunehmen. Ihr habt uns seinerzeit das alleinige Recht zugebilligt, eure Goldschmiedearbeiten einzuhandeln, und ich werde dafür sorgen, daß dies so bleibt.‹
    ›Ihr müßt uns höhere Preise zahlen, wenn wir allein davon leben sollen‹, sagte mein Vater, aber Narzia lachte nur und sagte: ›Ihr müßt eben mehr arbeiten, dann werdet ihr schon euer Auskommen haben.‹«
    »Sie hat dich also als Geisel genommen«, sagte Lauscher. »Das sieht ihr ähnlich.«
    »Ja«, sagte Arnilukka, »das hat sie getan, und sie wußte genau, daß mein Vater nichts unternehmen würde, was mir schaden könnte. Am nächsten Morgen ritt mein Vater also allein zurück. Als er sich von mir verabschiedete und gerade niemand von Arnis Leuten in der Nähe war, erzählte er mir flüsternd von einem geheimen Weg übers Gebirge, von dem Arnis Leute nichts wußten. ›Wenn du fliehen kannst‹, sagte er, ›mußt du nach Norden in die Wälder laufen, erst nach drei Tagen wendest du dich nach Westen, bis du die große Felswand erreichst‹ und dann beschrieb er mir einen Durchschlupf, durch den man hinauf in den Wald über dem Flachtal gelangt.
    ›Ich habe Angst im Wald‹, sagte ich, aber er nahm mich in die Arme und sagte: ›Deine Mutter und ich werden auch Angst haben, solange du hier bei dieser grünäugigen Hexe leben mußt. Vergiß das nicht!‹
    Seither lebte ich in Narzias Haus. Sie überließ mir ein kleines Zimmer auf der Rückseite. Außer einem Bett an der Wand gab es dort noch einen kleinen Tisch mit gedrechselten Beinen, zwei Hocker und an der gegenüberliegenden Wand eine Truhe, aber ich besaß außer den Kleidern, die ich auf dem Leib trug, kaum etwas, das ich hätte hineinlegen können.«
    »In diesem Zimmer habe ich gewohnt, solange ich bei Arnis Leuten lebte«, sagte Lauscher.
    »Ich weiß«, sagte Arnilukka. »Als ich abends im Bett lag, entdeckte ich in der Täfelung darüber die Tür zu einem Wandschränkchen.«
    »Und dort hast du meine Flöte gefunden«, sagte Lauscher.
    »Ja«, sagte Arnilukka. »Daneben lagen auch noch zwei tönerne Krüglein, aber da ich nicht wußte, was sie enthielten, habe ich sie liegenlassen. Doch die Flöte erkannte ich sofort wieder, und wenn ich wußte, daß niemand im Haus war, habe ich versucht, darauf zu spielen. Einmal hätte mich Narzias Hausverwalter beinahe dabei ertappt. Ich hörte ihn eben noch draußen durch den Gang schlurfen und konnte die Flöte rasch unter das Bettzeug stecken. Dann stand er auch schon im Zimmer, blickte sich suchend um und fragte schließlich, was das für ein Geflöte gewesen sei. ›Eine Amsel vor dem Fenster‹, sagte ich. Er war ein alter Mann und hörte nicht mehr gut, aber ich war mir doch nicht sicher, ob er mir das geglaubt hatte, und so

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