Stein und Flöte
gewittert hatten, und begriff, warum Lingli mich in den Wald gelockt hatte. Ich war jetzt sicher, daß sie diese Hündin war, die neben mir lag und meine Hand leckte.
Was jetzt folgte, war wie ein schrecklicher Alptraum. Ich sah die Beutereiter mit fliegenden Zöpfen in die Ansiedlung preschen, überall tauchten sie zwischen den Häusern auf, ich hörte, wie sie Türen einschlugen, dumpfe Schläge und das Krachen von berstendem Holz und dann die Todesschreie von Arnis Leuten, langgezogene kreischende Schreie, die plötzlich abrissen. Ich sah einzelne ins Freie laufen und durch die Gassen rennen, bis sie ein Pfeil in den Rücken traf, sah sie taumelnd stehenbleiben, niederstürzen und zuckend am Boden liegen, bis sie sich nicht mehr rührten. Die Reiter schleppten inzwischen Kisten und Kasten aus den Häusern, warfen allerlei Hausrat aus den Fenstern, der scheppernd zerbrach, und zeigten einander johlend ihre Beutestücke. Dann flogen die ersten Fackeln auf die Dächer, und wenig später stand die ganze Ansiedlung in Flammen, auch Narzias Haus, das uns am nächsten lag.
Ich dachte an deine Flöte, die oben zwischen den Dachbalken steckte, und es jammerte mich, daß ich sie dort zurückgelassen hatte. Während ich noch entsetzt in den schwarzen Rauch starrte, der zwischen züngelnden Flammen aus dem Dach quoll, sah ich, wie darunter ein Fenster geöffnet wurde, dann löste sich etwas aus dem aufsteigenden Qualm, und ein Falke flog mit raschen Flügelschlägen über uns hinweg und tauchte in den Kronen der Bäume unter. Da wußte ich, daß Narzia sich gerettet hatte, während ihre Leute von den Beutereitern erschlagen wurden. Darüber war es schon bald Abend geworden. Schreie waren keine mehr zu hören, nur noch die eintönigen Lieder der Reiter, die irgendwo zwischen den brennenden Häusern beieinander saßen, klangen zu uns herüber. Inzwischen waren Wolken aufgestiegen, und in der Nacht brach ein Regensturz los, der die Flammen löschte. Ich lag die ganze Zeit über bei den Hunden und wurde naß bis auf die Haut, aber Lingli oder die Hündin, die einmal Lingli gewesen war, drängte sich an mich und wärmte mich mit ihrem Körper. Gegen Morgen zogen dann die Reiter ab. Zu meinem Entsetzen sah ich, daß sie ihre Pferde den Pfad hinaufzogen, der über das Gebirge nach Arziak führt. Da wurde mir klar, daß ich auch jetzt noch, wo niemand mehr über mich wachte, den geheimen Weg durch die Wälder würde gehen müssen, wenn ich nach Hause wollte, sofern es für mich bis dahin überhaupt noch ein Zuhause geben würde. Aber vorher wollte ich wenigstens versuchen, deine Flöte zu retten.
Jetzt hinderten mich die Hunde nicht mehr daran, aufzustehen und hinüber zu der Ansiedlung zu laufen. Ich hielt mich vorsichtig im Schutz der Büsche, aber ich erkannte bald, daß hier kein lebender Mensch mehr anzutreffen war. Überall lagen die Erschlagenen in den Gassen, und ich zwang mich, nicht hinzuschauen, wenn ich an ihnen vorbeirennen mußte. Was ich dennoch gesehen habe, werde ich mein Leben lang nicht vergessen können.
Narzias Haus war etwa bis zur halben Höhe heruntergebrannt und der Dachstuhl zum größten Teil eingestürzt. Der Rauchgestank nahm mir fast den Atem, aber es gelang mir dennoch, über zerbrochenes Balkenwerk in jenen Teil des Dachbodens hinaufzuklettern, der nicht heruntergebrochen war, und bis zu der Stelle vorzudringen, an der ich die Flöte versteckt hatte. Ein einziger Balken hatte hier dem Feuer standgehalten. Es mag ein Zufall sein, daß man an dieser Stelle, vielleicht weil gerade kein anderes Holz zur Hand war, einen eichenen Balken eingezogen hatte, während sonst nur Fichtenholz verwendet worden war. Aber ich frage mich jetzt, ob es gleichfalls ein Zufall gewesen ist, daß ich die Flöte gerade unter diesem Balken in Sicherheit gebracht hatte. Jedenfalls hat er sie geschützt. Die Pfosten, zwischen denen ich sie versteckt hatte, waren verkohlt und die Flöte war noch heiß, als ich sie herausholte. Und sie hatte sich verwandelt. Die Vergoldung war abgeplatzt und zu feinen Kügelchen weggeschmolzen. Doch das silberne Rohr hatte keinen Schaden gelitten und blinkte makellos, als ich es an meinem rußbefleckten Kittel abwischte.
Sobald ich mich davon überzeugt hatte, daß die Flöte unbeschädigt geblieben war, bahnte ich mir einen Weg durch den Brandschutt nach unten, rannte zum Tor hinaus und ums Haus hinüber zum Wald.«
»Dabei habe ich dich gesehen«, sagte Lauscher.
»Du?« sagte Arnilukka.
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