Stein und Flöte
zwischendurch auch einmal selber in dieser Kunst versuchte. Er stellte sich dabei recht geschickt an, zeigte aber auch eine besondere Begabung dafür, geeignete Holzstücke auszusuchen. »Nimm das hier«, sagte er dann, »es hat einen guten Klang«, und klopfte mit dem Fingerknöchel darauf. Lauscher überließ ihm nach einiger Zeit das Ausbohren der Klötze, nachdem er beobachtet hatte, wie sorgsam, ja fast liebevoll Döli mit den Werkstücken umging. Am Abend führte Lauscher Döli in die Kunst des Flötenspielens ein und ging dabei so vor wie damals sein Großvater, als er Barlo das Flöten beigebracht hatte. Darüber kam der Winter über das Flachtal, auf den Wiesen lag knietief der Schnee, und der Frost ließ die Baumstämme knacken, aber Holz zum Heizen war ja genügend vorhanden, und Wazzek hatte dafür gesorgt, daß den beiden in der Waldhütte die Vorräte nicht ausgingen.
In der Nacht jedoch konnte Lauscher den Gedanken nicht entkommen, denen er bei Tag zu entfliehen versuchte, indem er sich mit solchem Eifer in die Drechselarbeit stürzte. Dann lag er schlaflos auf seiner Holzpritsche und fragte sich, was werden sollte, wenn der Winter vorüber sein würde. Er klammerte sich mit aller Kraft an die Hoffnung, daß Arnilukka zurück ins Flachtal kommen würde, schon um ihm ihr Kind zu bringen. Aber was sollte dann geschehen? Wie würden sie hier weiterleben, wo ihnen kein Ausweg blieb, als immer talauf oder talab an der Baumgrenze entlangzugehen, bis sie diesen Käfig, an dessen Gitterstäben sie ewig im Kreis laufen mußten, nicht mehr würden ertragen können? Was war das für eine Hoffnung, die schon beim zweiten Schritt ins Ausweglose führte?
»He, Zirbel, wach auf!« sagte er, als er wieder einmal zu diesem Punkt gelangt war, an dem er nicht mehr weiterfand. »Du behauptest doch, etwas von der Hoffnung zu verstehen. Kannst du mir vielleicht sagen, worauf ich eigentlich hoffen soll?«
Der Zirbel lag wie zumeist am Kopfende der Schlafpritsche. Über sein knotiges Gesicht huschte der Schein des flackernden Feuers und verlieh seiner Miene einen ständig wechselnden Ausdruck, so daß nicht zu entscheiden war, ob sein blankes dunkelbraunes Auge spöttisch oder aufmerksam auf Lauscher blickte. »Du brauchst mich nicht zu wecken«, sagte er. »Hast du je erlebt, daß ich mein Auge zum Schlafen geschlossen hätte? Und was du da von Hoffnung faselst, zeigt nur, daß du überhaupt nicht weißt, wovon du sprichst.«
»Ich weiß sehr wohl, wovon ich rede, du alter Holzkopf«, sagte Lauscher. »Ich zerbreche mir Nacht für Nacht den Kopf darüber, daß ich all meine Hoffnung auf Arnilukka gesetzt habe und dabei dennoch nicht herausfinden kann, wie ich sie hier bei mir festhalten soll.«
»Sollst du das denn?« sagte der Zirbel. »Da sieht man doch gleich, was für einen sonderbaren Begriff von Hoffnung du hast. Festhalten! Wenn es dabei nur darum ginge, etwas besitzen und festhalten zu wollen, würde ich nicht so viel Aufhebens davon machen. Hast du dann schließlich alles, was du haben willst, bist du endgültig auf dem Gipfelpunkt der Hoffnungslosigkeit angelangt. Hast du denn das noch immer nicht begriffen? Es gab da bei uns, als ich noch unter den anderen Zirben auf dem Joch stand, die Geschichte von einem Baum, der auch immer alles für sich haben wollte. Erst paßte es ihm nicht, daß es nachts dunkel wurde und kalt. ›Ich will die Sonne für mich haben‹, sagte er, und da bekam er sie auch. Sie blieb genau über seinem Wipfel stehen und brannte auf ihn herunter, bis seine Äste vor Dürre knackten und die Nadeln braun und trocken wurden wie Zunder. Als er genug davon hatte, sagte er: ›Ich halte das nicht mehr aus mit dir, Sonne! Ich will den Regen für mich haben‹, und da zog auch schon eine dicke schwarze Wolke über ihm auf und goß einen wahren Sturzbach von Regen auf ihn herab. Zunächst gefiel ihm das, aber als dieser Regen überhaupt nicht mehr aufhören wollte, paßte ihm auch das nicht. ›Ich bin schon naß bis unter die Rinde‹, sagte er. ›Wenn das so weitergeht, fangen meine Nadeln an zu faulen. Ich will den Wind für mich haben, damit er mich mit seinem Atem trocknet.‹ Und schon begann sich um ihn herum ein Wirbelwind zu drehen, daß sich seine Äste nur so bogen. Das zerrte und zauste an seinen Zweigen, bis ihn jede Faser schmerzte, und ihm wurde ganz schwindlig von diesem Wind, der ihm fast seine Wurzeln aus dem Boden riß. Da begann er zu stöhnen in seiner Qual und sagte: ›Ich
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