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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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den Schultern an das Balkenwerk der Hüttenwand und schwieg eine Weile. Lauscher betrachtete ihn von der Seite und versuchte in Belarnis Gesicht den Jungen wiederzufinden, der ihm damals im Lager der Beutereiter Hunlis Falkenteppich ins Zelt gebracht hatte, doch es fiel ihm schwer, einen Rest der kindlichen Weichheit in den hageren, angespannten Zügen dieses jungen Mannes zu entdecken, dem man allzu früh große Verantwortung aufgebürdet hatte und über dessen Mundwinkeln sich schon eine harte Falte einkerbte. »Wir haben damals gestritten, als du in mein Zelt kamst, um mich über Arnis Leute zu befragen«, sagte Lauscher.
    Belarni blickte ihn an, als erinnere er sich kaum noch an die Umstände dieser Begegnung. »Ja«, sagte er, »ich war wohl ärgerlich darüber, daß ein Mann wie Höni sich anmaßte, Arnis Nachfolger zu spielen. Wenn ich im Zorn weggelaufen bin, mußt du das dem Kind nachsehen, das ich damals war.«
    Lauscher schüttelte langsam den Kopf. »Da gibt’s nichts zu verzeihen«, sagte er. »Du hattest ja recht mit deiner Meinung über Arnis Leute, und wenn ich auf dich gehört hätte, wären viele vielleicht noch am Leben.«
    »Kann sein, kann auch nicht sein«, sagte Belarni. »Wer will das im nachhinein entscheiden? Ich habe es mir abgewöhnt, über Dinge nachzudenken, die man nicht mehr ändern kann. Wahrscheinlich hätte ich in den letzten Jahren auch gar keine Zeit dazu gehabt. Im übrigen bist du ja auch nicht ungeschoren davongekommen, wie ich gehört habe.«
    Lauscher schaute ihm aufmerksam ins Gesicht. Woher hatte Belarni das gehört? Ob Arnilukka mit ihm darüber gesprochen hatte? Warum sagte er das dann nicht? Belarni schien es fast peinlich zu sein, daß er es überhaupt erwähnt hatte. »Das ist vorbei«, sagte Lauscher nach einer Weile. »Jetzt habe ich wieder Hoffnung gefaßt.«
    »Ich weiß«, sagte Belarni, und dann fügte er unvermittelt hinzu: »Ich möchte dich bitten, mein Freund zu sein und zu bleiben, was immer auch geschieht.«
    Was soll schon geschehen?, dachte Lauscher, verwundert über diese merkwürdige Formulierung. Er reichte Belarni die Hand und sagte: »Das verspreche ich dir gern. Und jetzt wollen wir Arnilukka nicht länger warten lassen. Ich hole nur noch etwas aus meiner Hütte, und dann gehen wir zu ihr.«
    Als er wieder vor die Tür trat, hatte er die Wiege geschultert, und so gingen die beiden schweigend miteinander den Pfad entlang. Mit jedem Schritt weitete sich zwischen den Bäumen der Ausblick ins Freie, und dann sah Lauscher Arnilukka draußen im Licht der Morgensonne auf der Wiese stehen. Sie hielt ihr Kind in den Armen und kam ihnen, sobald sie sich dem Waldrand näherten, entgegengegangen. Im Schatten der letzten Bäume trafen sie einander, blieben stehen und schauten sich eine Weile schweigend an. Lauscher hatte völlig vergessen, daß Belarni neben ihm stand, sah nur noch Arnilukka, und sie erschien ihm noch tausendmal schöner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte; das Lächeln auf ihren Lippen und der Blick ihrer Augen raubte ihm fast die Besinnung. Schließlich spürte er dann doch die Last der Wiege auf seiner Schulter, setzte sie vorsichtig ins Gras und sagte: »Ich habe dir etwas mitgebracht, Arnilukka.«
    Da lachte sie und sagte: »Ich dir auch, Lauscher!« und hielt ihm ihr Kind hin. »Es ist ein Mädchen.«
    Er nahm es behutsam auf den Arm, und als er es ansah, erschrak er fast, obwohl er darauf hätte gefaßt sein müssen: Es blickte ihn aus den gleichen Augen an wie Arnilukka und auch alle anderen Frauen aus Urlas Sippe, denen er begegnet war. »Hast du ihm schon einen Namen gegeben?« fragte er.
    »Ich wollte damit warten, bis ich mit dir darüber sprechen kann«, sagte Arnilukka, »aber insgeheim habe ich sie schon vom ersten Augenblick an bei einem Namen genannt.«
    Lauscher schaute sich das Kind nachdenklich an, und dann sagte er: »Urla. Du hast sie Urla genannt.«
    »Ja«, sagte Arnilukka lächelnd. »Du hast es erraten. Wenn es dir recht ist, wollen wir sie nach ihrer Urahnin nennen.«
    Während Lauscher noch die so jungen und doch uralten Augen in dem winzigen Gesicht bestaunte, räusperte sich Belarni neben ihm und sagte: »Ich wollte noch nach den Pferden sehen.« Er machte eine ungeschickte Geste der Entschuldigung und ging ein wenig steifbeinig über die Wiese auf die Hirtenhäuser zu. Lauscher blickte ihm nach und sagte: »Belarni ist ein feinfühliger Mann. Ich mag ihn gern, aber ich bin ihm doch dankbar, daß er uns jetzt

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