Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
Vom Netzwerk:
Stube lag schon ein ansehnlicher Stapel fertiger Flöten, und Döli hatte Mühe, noch geeignetes Holz unter den Stapeln hinter der Hütte zu finden.
    »Holz zum Drechseln gibt’s noch genug«, sagte er eines Morgens, »aber zum Flötenbauen taugt es nicht.«
    »Dann will ich etwas anderes drechseln«, sagte Lauscher. Er hatte auch schon einen Plan gefaßt; denn er wollte Arnilukka ein Geschenk machen, wenn sie mit ihrem Kind ins Flachtal zurückkehrte. Zu Beginn des Winters war ihm zumute gewesen, als entferne sich Arnilukka mit jeder länger werdenden Nacht immer weiter von ihm, aber nun, als die Sonne jeden Mittag ein wenig höher über dem Wald stand und die Knospen schon dicker wurden und saftig glänzten, rückte ihm Arnilukka Tag für Tag wieder näher. Solange noch Schnee lag, würde sie nicht kommen, aber schon tropfte es von den Eiszapfen an der Dachtraufe, und im Wald rutschten Ladungen von Schnee von den Zweigen. »Wir bauen eine Wiege«, sagte er. »Für Boden und Kufen brauche ich ein paar feste Bretter, und darüber setzen wir ein Gitter von gedrechselten Stäben, zwischen denen mein Kind sicher liegen kann.«
    »Dafür weiß ich das richtige Holz«, sagte Döli. »Auf dem Stapel hinter dem Haus liegt der Stamm von einem wilden Kirschbaum, schönes, rot gemasertes Holz, genau das richtige für eine Wiege.«
    Während draußen nach und nach der Schnee schmolz, machten sich die beiden an die neue Arbeit, und als die Wiege fertig war und der Frühling noch immer auf sich warten ließ, fing Lauscher damit an, die gedrechselten Stäbe, die er wie zierliche Leitern zusammengefügt hatte, an den Enden mit allerlei Schnitzwerk zu versehen. Da weidete auf den Seitenteilen eine ganze Herde von Ziegen, allen voran der Bock mit nur einem, aber um so gewaltigeren Horn, und ihm gegenüber bäumte sich in verwegenem Sprung ein Esel auf; am Fußende reckte ein Wiesel seinen schmalen Kopf in die Höhe, rechts von ihm hockte eine Kröte, und links kroch eine Ringelnatter aus dem Gestänge, aber über dem Kopfende lugten drei Mäuse von dem gedrechselten Gitter. So erzählte Lauscher seinem Kind, das er noch gar nicht gesehen hatte, nach und nach seine Geschichte, und zum Schluß sagte er: »Euch vertraue ich mein Kind an, vor allem euch drei Mäusen ›Der-mit-der-Schlange-spricht‹, ›Der-dem-Falken-weissagt‹ und ›Der-die-Hoffnung-nicht-aufgibt‹; denn ihr habt nie daran gezweifelt, daß das Leben stärker ist als aller böse Zauber.«
    Seit Tagen hatte er seine Werkbank kaum verlassen und auch jetzt die ganze Nacht hindurch an seiner Schnitzerei gearbeitet. Als er an diesem Morgen das Messer beiseite legte und vor die Tür trat, sah er, daß die letzten Schneereste weggeschmolzen waren. Die Luft war kühl und klar und schmeckte nach Blütenstaub, und am Wegrand drängten sich die gelben Sterne des Huflattich. Dann hörte Lauscher Schritte und sah, daß von den Hirtenhäusern her ein Mann auf ihn zukam. Gegen die Helligkeit des Hintergrunds konnte er ihn zunächst nur in Umrissen erkennen, die schmale, hochgeschossene Gestalt eines jungen Mannes, der mit raschen, ein wenig ungeduldig wirkenden Schritten dem Waldpfad folgte. Lauscher wartete vor der Tür und erkannte den Ankömmling erst, als dieser vor ihm stand und den Kopf hob.
    »Guten Morgen, Belarni«, sagte Lauscher. »Es ist lange her, daß wir einander getroffen haben. Seit wann bist du im Flachtal?«
    »Seit gestern abend«, sagte Berlarni. »Ich bin mit Arnilukka durch die Schlucht heraufgeritten.«
    Als Lauscher das hörte, setzte sein Herz für einen Schlag aus. In den vergangenen Wochen hatte er sich diesen Augenblick immer wieder vorzustellen versucht, ihn herbeigesehnt und sich ausgemalt, wie es sein würde, wenn Arnilukka wieder am Waldrand stand und auf ihn wartete. Weiter hatte er nicht zu denken gewagt. Doch jetzt wurde ihm mit Erschrecken bewußt, daß diese Begegnung zugleich eine Entscheidung für die Zukunft bedeuten würde. »Wie geht es ihr?« fragte er.
    »Gut«, sagte Belarni. »Sie hat ihre Tochter mitgebracht und wartet am Waldrand auf uns.« Und als er sah, wie Lauscher hinter sich tastete und sich auf den Hackklotz sinken ließ, der dort stand, fügte er noch hinzu: »Willst du nicht mitkommen?«
    »Doch«, sagte Lauscher. »Nur einen Augenblick. Ich habe die ganze Nacht gearbeitet und war nicht darauf gefaßt, daß sie schon hier ist.«
    Belarni schien ein wenig erstaunt, doch er sagte nichts dergleichen, sondern lehnte sich mit

Weitere Kostenlose Bücher