Stein und Flöte
des Instruments, und die gewellte Maserung des Holzes trat deutlicher hervor. Als Lauscher zum letzten Mal das Messer absetzte und das Drehwerk auslaufen ließ, fragte Döli: »Ist das jetzt meine Flöte?«
»Noch ist sie nicht fertig«, sagte Lauscher. »Nun beginnt erst der schwierigste Teil der Arbeit: Wir müssen sie zum Klingen bringen.« Er spannte das blanke Rohr aus, schnitt unter dem verdickten Kopf eine tiefe Kerbe schräg ins Holz und trieb einen kurzen Pflock in die Öffnung des Rohrs, der nur einen schmalen Spalt zum Anblasen freiließ.
»So ähnlich macht man das bei Weidenflöten«, sagte Döli.
Lauscher blickte ihn überrascht an. »Sieh da!« sagte er, »ein bißchen verstehst du ja doch von der Kunst. Ich habe gewußt, daß in dir ein Flöter steckt. Wer hat dir das gezeigt?«
»Die Jungherrin Arnilukka«, sagte Döli. »Aber das ist schon lange her. Ich war noch ein Kind, und wir lebten erst seit etwa einem Jahr in Arziak. Anfangs fand ich mich hier nicht zurecht und hatte große Angst zwischen den hohen Berghängen und den vielen Bäumen. Herrlich fand ich nur, daß es hier so viel Wasser gab, denn in der Steppe war das Wasser kostbar gewesen. Als ich wie schon oft wieder einmal am Bach saß und mich nach der Weite der Steppe sehnte, hörte ich jemanden flöten. Ich ging den Tönen nach, und da sah ich Arnilukka unter einer Weide sitzen und auf einem Bündel verschieden langer Flöten spielen, und unter ihr im Wasser sprangen die Fische, daß die sprühenden Tropfen in allen Farben unter der Sonne funkelten. Ich hörte ihr eine Weile zu, wie sie den Fischen vorspielte, dann entdeckte sie mich und zeigte mir, wie man eine solche Flöte baut. Damals haben mich die Melodien meiner Flöte sehr getröstet, aber ich habe das schon lange nicht mehr probiert.«
»Das sind Dinge, die man nie vergessen sollte«, sagte Lauscher und sah Arnilukka unter der Weide sitzen, ein kleines Mädchen mit schwer zu beschreibenden Augen, das mit den Fischen sprach wie mit seinesgleichen und ihnen Lieder vorsang. »Es ist gut, eine Flöte zu haben, wenn man allein ist. Jetzt versuche einmal, wie deine Flöte klingt!« Er gab ihm das Instrument, Döli setzte es an die Lippen, und unter dem Atem, den er ihr einhauchte, löste sich ein tiefer warmer Ton, schwoll allmählich an und verklang erst, als dem Jungen die Luft ausging.
»Sie klingt schön«, sagte Döli, »aber sie hat nur diesen einen Ton.«
»Warte nur«, sagte Lauscher, »sie hat noch viel mehr Töne. Wir müssen sie aus dem Holz befreien, indem wir für jeden ein eigenes Loch bohren. Es kommt nur auf die richtigen Abstände an. Zum Glück habe ich dafür ein Vorbild.« Er holte seine Silberflöte, legte sie neben das hölzerne Rohr und bezeichnete mit einem Stück Holzkohle die Stellen für die Grifflöcher. »Nun wissen wir, wo die Töne schlafen«, sagte er dann. »Jetzt wollen wir sie wecken.«
Er nahm einen dünnen Bohrer zur Hand und drehte ihn vorsichtig an jener Stelle ins Holz, wo er die unterste Markierung aufgezeichnet hatte. Als das Loch geglättet war, gab er Döli die Flöte und sagte: »Wenn du jetzt dieses Loch mit dem kleinen Finger deiner rechten Hand schließt, wirst du den ersten Ton wieder hören, sobald du aber den Finger hebst, wird der neue Ton erwachen.«
Döli folgte der Anweisung, und alsbald folgte dem ersten, tiefen Ton ein zweiter, der etwas höher klang.
»Vergleiche ihn mit dem Ton meiner Flöte!« sagte Lauscher und blies die gleichen beiden Töne. »Nun, was sagst du?«
»Der zweite Ton meiner Flöte klingt ein bißchen tiefer«, erklärte Döli unvermittelt.
»Du hast ein feines Gehör«, sagte Lauscher. »Jetzt bin ich sicher, daß aus dir ein Meisterflöter wird. Wir müssen das Loch noch etwas erweitern, damit der Ton richtig herauskommen kann.« Nachdem er das getan hatte und sie die Probe wiederholten, stimmten die Flöten genau überein. Auf diese Weise wurden nun im ganzen sieben Löcher in die Flöte gebohrt, überprüft und korrigiert, bis beide Instrumente ohne irgendeine Abweichung zusammenklangen. Zum Schluß tränkte Lauscher die Flöte mit Öl, damit das Holz nicht austrocknete, legte sie dann zur Seite und sagte: »Die Griffe hast du heute beim Probieren schon kennengelernt. Morgen beginnen wir mit dem Unterricht.«
Nach diesem verheißungsvollen Beginn folgten Wochen emsiger Tätigkeit. Während des Tages saß Lauscher an seiner Drehbank, während Döli ihm auf die Finger schaute oder sich
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