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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Buchweizengrütze aß, die sie ihm gebracht hatte. »Ich habe da einen Enkel«, sagte sie. »Schneefink heißt er, und er ist ganz verrückt nach deiner Flöte. Sobald er dich spielen hört, läßt er alles stehen und liegen und läuft hierher, um nur ja keinen Ton zu versäumen.«
    »Ist das so ein weißblonder, schmaler Junge?« fragte Lauscher.
    »Ja«, sagte sie. »Er ist ein bißchen schwächlich und hat allerlei auszustehen von den rotschopfigen Rüpeln hier im Dorf. Ich habe mir schon oft Sorgen gemacht, was aus ihm werden soll. Zu irgend so einem Rauhbein von Schädelspalter wie die anderen Männer hier wird er sich wohl nie auswachsen, und ich habe mir gedacht, ob er nicht vielleicht ein Flöter werden könnte. Was meinst du dazu?«
    Lauscher hatte nichts einzuwenden gehabt, und so war er auf diese Weise zu einem Schüler gekommen, der an Eifer selbst Döli übertraf. Schneefink trank die Musik geradezu in sich hinein, und es zeigte sich bald, daß seine Finger die Griffe auf der Holzflöte, die Lauscher ihm aus seinem Vorrat geschenkt hatte, fast wie von selbst zu finden wußten.
    Lauscher war langsam vorangegangen bei diesem Unterricht, denn er hatte ja unendlich viel Zeit, doch in den paar Jahren, die seither vergangen waren, hatte es Schneefink zu einer Meisterschaft gebracht, die ihn anderswo schon längst zu einem begehrten Spielmann gemacht hätte. Hier im Dorf jedoch galt er nur als Spinner, der zu keiner vernünftigen Tätigkeit zu brauchen war. Inzwischen war er zu einem mageren Burschen aufgeschossen, der kaum wußte, wo er seine schlaksigen Arme lassen sollte, solange er keine Flöte zwischen den Fingern hatte.
    An diesem Abend nun, von dem anfangs die Rede war, hatte Lauscher seinen Schüler eine Weile unterrichtet und ihm wieder ein paar Feinheiten mehr beigebracht, etwa auf welche Weise man einen Zornigen zur Besinnung bringen oder einem Ängstlichen Mut zuflöten kann. Dann hatte er Schneefink nach Hause geschickt, um noch eine Weile allein unter der Tür zu sitzen und zuzusehen, wie die Sonne unterging. Diese bizarre Landschaft, die ihn anfangs erschreckt hatte, war ihm mittlerweile so vertraut geworden, daß er ihren Anblick nicht nur ertragen konnte, sondern sogar etwas von ihrer wilden Schönheit zu empfinden gelernt hatte.
    Während er nun so dasaß und beobachtete, wie auf den Felswänden die scharf abgeschnittene Grenze zwischen dem rotviolett schimmernden Bereich und dem stumpfen Grau des Gesteins darunter langsam nach oben wanderte, kam über ein schon längst im Schatten liegendes Schuttkar her ein kleiner Schwarm von Bergdohlen herangestrichen und ließ sich auf dem Dach seiner Hütte nieder. Das war nichts Ungewöhnliches, denn Kiwitt warf ihnen oft ein paar Brotkrumen oder sonstige Essensreste auf den Vorplatz, aus denen sie sich dann das beste herauspickten. Auch an diesem Tag hatte sie das getan, ehe sie nach Hause gegangen war, und nun flatterten ein paar von den Dohlen vom Dach herunter, um zu begutachten, was dort für sie bereitlag.
    Sobald der aufsteigende Schatten die letzte Bergspitze verschluckt hatte und nur noch der Himmel darüber mit schmutzig-roten und tiefvioletten Streifen gebändert war, wendete Lauscher seine Aufmerksamkeit den Dohlen zu, die mit schief gelegtem Kopf die auf dem steinigen Boden verstreuten Brocken beäugten. Sie hatten es nicht eilig; denn im Sommer gab es hier genug für sie zu fressen.
    »Besonders schmackhaft ist das ja alles nicht, was die Leute hier essen«, sagte eine von ihnen. Lauscher bemerkte, daß diese Dohle eine winzige weiße Feder über dem Schnabelansatz hatte, was ihr ein gewissermaßen pfiffiges Aussehen verlieh.
    »Nun ja«, sagte eine andere. »Ich habe auch schon besser zu Abend gegessen. Aber man muß ja allein aus Höflichkeit ein bißchen zupicken, damit die alte Frau nicht enttäuscht ist, wenn morgen früh noch alles daliegt. Wo warst du denn im Winter, Weißfeder, daß du so hohe Ansprüche stellst?«
    »In der Gegend von Arziak«, sagte die Angesprochene. »Seit die Leute dort die Reste der Beutereiter bei sich aufgenommen haben, können sie wieder ungestört ihrer Arbeit nachgehen und ihre schönen Schmuckstücke mit gutem Gewinn selbst verhandeln. Das merkt man allein schon daran, was dort alles auf den Tisch kommt. Da braucht man im Winter nicht zu darben und kriegt wieder einmal feines weißes Brot zu kosten oder sogar Bratenstückchen und dergleichen Genußhappen.«
    »Das muß ich mir merken«, sagte die

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