Stein und Flöte
weißt viel«, sagte Lauscher. »Ich danke dir für deine Auskünfte. Nun kenne ich den Weg schon besser, den ich vor mir habe.«
Von da an hielten sich die beiden Reiter noch weiter östlich als bisher, aber sie waren noch eine Woche unterwegs, bis Lauscher die Wälder, durch die sie ritten, vertraut erschienen. An diesem Abend erreichten sie die Quelle am oberen Ende des Flachtals und ließen sich vom Laub des großen Ahorn in Schlaf rauschen. Diesmal hielt Lauscher noch nicht Ausschau nach dem Falken; das wollte er erst bei seiner Rückkehr tun, wenn er ihm etwas zu bieten hatte. Gleich am folgenden Morgen ritten sie weiter bergauf durch den Hochwald, und nach drei Tagen erreichten sie die Kluft, durch die man hinunterklettern konnte in die Große Felswand. Hier ließ Lauscher den Jungen mit den Pferden zurück und nahm auch von seinen Sachen nichts weiter mit als die Flöte. »Warte hier drei Tage lang auf mich«, sagte er, »und wenn ich dann immer noch ausbleibe, reite hinunter zu den Hirtenhäusern. Ich werde schon irgendwann nachkommen.«
»Und was soll ich tun, wenn du nicht kommst?« fragte Schneefink.
»Ich werde kommen, verlaß dich drauf«, sagte Lauscher und machte sich an den Abstieg.
Nun war er wieder allein und fühlte sich fast wie zu der Zeit, während der er als Faun einsam durch die Wälder gestapft war. Nur das Klettern durch den Felsspalt hinunter war damals mit den staksigen, hufbewehrten Bocksbeinen mühsamer gewesen. Schon nach kurzer Zeit erreichte er den festen Boden und suchte sich einen Weg durch das Weidengebüsch, hinter dem schon der Spiegel des Sees blinkte. Eine Weile blieb er am Ufer sitzen und überlegte, ob er die Wasserfrau rufen sollte, der er Narzias Schmuck geschenkt hatte. Die Luft war erfüllt vom Rauschen des Wasserfalls, in das die Rufe der Bachstelzen einzelne spitze Töne setzten. Er lauschte der Musik, holte dann seine Flöte hervor und fand zu dieser Begleitung eine Melodie, die der Wasserfrau eigentlich hätte gefallen müssen, aber sie wollte sich nicht zeigen. Schließlich gab er die Hoffnung auf, daß er sein Geschenk auf so leichte Weise würde zurückerhalten können. Die Forelle hatte das wohl schon gewußt, denn in ihren Versen war weder von einem See noch von einer Wasserfrau die Rede gewesen.
Wo drei Winter du verbracht,
steig hinunter in den Schacht,
damit konnte sie nur die Höhle gemeint haben, in der er damals mit seinen Ziegen gehaust hatte. Er konnte sich zwar nicht vorstellen, wo da ein Schacht sein sollte, doch an Ort und Stelle würde sich dergleichen schon finden lassen. So steckte er seine Flöte in die Tasche und machte sich auf den Weg, immer am Fuß der Felswand entlang.
Der Einschlupf zur Höhle war von altem Laub so zugeweht, daß er ihn kaum gefunden hätte, wenn ihm dieser Platz nicht so genau in Erinnerung geblieben wäre. Er scharrte den Eingang frei und kroch hinein in das dunkle Gewölbe. Zunächst konnte er kaum etwas erkennen, doch allmählich gewöhnten sich seine Augen an das schwache Licht, bis er rechts an der Höhlenwand regelmäßig zusammengefügtes Holzwerk unterscheiden konnte. Hier hatten wohl die Leute gehaust, die einmal Narzias Hunde gewesen waren. Roh zusammengezimmerte Tische, Bänke und Bettstellen standen dort beieinander, teils schon wieder zusammengestürzt und zerbrochen. Alles andere hatten die Bewohner mitgenommen, als man sie abgeholt und nach Arziak gebracht hatte. Aber wo sollte hier ein Schacht sein? Im Hauptraum der Höhle war nirgends ein Einstieg oder auch nur ein Spalt zu entdecken.
Ehe er sich weiter auf die Suche machte, trug Lauscher aus den Resten der Einrichtung trockenes Holz zusammen und entfachte in der Mitte der Höhle ein Feuer. Mit einem brennenden Ast stieg er dann hinauf zu seinem früheren Schlafplatz.
Er entsann sich, daß es hier, wo die Felswände immer dichter zusammentraten und der Bach aus der Kluft herausrann, noch weiter in die Tiefe ging. Damals, als er noch hier gehaust hatte, war er nie weiter in die Felsspalte vorgedrungen, doch wenn es überhaupt so etwas wie einen Schacht geben sollte, dann mußte er hier zu finden sein.
Zunächst wurde der Durchschlupf so eng, daß Lauscher sich gerade noch hindurchwinden konnte und streckenweise am Boden durch das schlüpfrige Bachbett kriechen mußte. Dann teilte sich der Weg. Der Bach kam von rechts her in einer ausgewaschenen Rinne herabgeschossen, und nach links zweigte eine weitere Kluft ab, die trocken war und über
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