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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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ersticken.«
    Lauscher erkannte, daß er auf diese Weise nicht weiterkam. Dieses Wesen schien so von seiner Gier nach Gold besessen, daß es an nichts anderes denken konnte. Man müßte seine Gedanken von diesem Zwang befreien, dachte er, und da fiel ihm seine Flöte ein. Er holte sie aus der Tasche, setzte sie an die Lippen, und während er schon die ersten Töne spielte, hörte er noch, wie das Wesen wisperte: »Was tut der Winzling da mit diesem schönen, glänzenden Ding? Spricht auf einmal eine andere Sprache, die mir wehtut da drinnen. Das soll er nicht tun!« Die letzten Worte hatte das Wesen fast geschrien, aber Lauscher ließ sich nicht stören, sondern tastete weiter mit seiner Musik nach dem Herzen dieses Wesens, falls es überhaupt ein Herz hatte.
    Lauscher versuchte sich dieses Wesen vorzustellen, das kaum wahrnehmbar in seiner Ungestalt auf dem goldenen Lager neben dem anderen Ausgang der Höhle hockte und leise ächzte. Wie lange mochte es schon hier in dieser Abgeschlossenheit seinen Hort bewachen? Ob es schon immer hier gehaust hatte? Oder war es irgendwann einmal durch Zufall in die Tiefe gekrochen und hatte sich nicht mehr trennen können von diesem funkelnden Gold? Vielleicht war es früher von anderer Art gewesen, ehe die gleißenden Schätze seine Sinne verwirrt hatten? Lebte in den Worten, die es zu den toten Goldklumpen gesprochen hatte, nicht eine ferne Erinnerung an Empfindungen, die jetzt verschüttet lagen unter der all seine Sinne beherrschenden Gier nach dem schimmernden Metall? ›Liebchen‹ hatte es gesagt, ›Komm, mein Schatz‹, wie man zu einem lebenden Wesen spricht, das man gern hat, und so versuchte er, mit seiner Flötenmelodie den verborgenen Kern freizulegen, in dem vielleicht noch ein Rest an Erinnerung an solche Empfindungen lebte. Und während er sich mit seiner Musik immer näher tastete, ging das Ächzen des Wesens allmählich in Wimmern und Weinen über, und schließlich schluchzte es: »Was tut er mit mir, dieser Winzling, mit seinem schimmernden Zauberding? Weckt mir Bilder, die einmal waren, ehe ich hier in der Höhle hauste. Liebe war da und Zärtlichkeit. Komm zu mir, Winzling, und laß mich deine warme Hand fühlen, damit ich das wieder einmal spüre!«
    Lauscher sah, wie das Wesen langsam von seinem Lager glitt und näher kam. Da packte ihn die Angst vor dem grausigen Geschöpf, aber er wußte zugleich, daß er nun weiterführen mußte, was er einmal begonnen hatte. Er steckte die Flöte in die Tasche und ging dem Wesen entgegen, bis er dessen muffige Ausdünstung roch und die formlose, ungeheuer aufgetürmte Masse vor ihm stand, die eine Art Kopf zu ihm herabneigte und sagte: »Ein bißchen Zärtlichkeit für den armen Mollo wird der Winzling schon übrig haben.«
    Da wurde Lauscher von Mitleid ergriffen; er streckte seine Hand aus und berührte das Wesen, das sich Mollo nannte. Mollo seufzte wohlig und schnurrte fast wie eine Katze, als Lauscher ihm mit der Hand über die trockene, glatte Haut strich, und als er das eine Weile getan hatte, sagte Mollo: »Nun kann der Winzling sich ein paar schöne, runde Goldklumpen nehmen«, und kroch beiseite, um den Weg zu seinem Schatz freizugeben.
    Unwillkürlich trat Lauscher an die aufgehäuften Goldbrocken heran und spürte die Verlockung, diese funkelnden Dinger in die Hand zu nehmen. Wenn man den ganzen Schatz zusammenraffen und hinaufschleppen könnte ans Tageslicht, dachte er, wie herrlich müßte er erst dort glänzen! Ein großer Mann könnte man werden mit diesem Reichtum, ein ganzes Königreich würde man sich dafür kaufen können.
    »Sind sie nicht schön, meine lieben Goldklumpen?« wisperte Mollo, »möchte man sich nicht hineinwühlen in diesen Haufen, bis man an nichts anderes mehr denkt? Ich wollte das alles für mich haben, aber du darfst dir ein bißchen davon nehmen.«
    Als er diese Worte vernahm, spürte Lauscher, wie ihn die gleiche Gier überkam, die Mollo hier im Dunkel der Höhle festgebannt hatte, und er erschrak vor sich selbst. Nur mit Mühe gelang es ihm, seine Augen von dem goldnen Glanz loszureißen, der ihn fast hatte vergessen lassen, weswegen er hier heruntergestiegen war. »Nein«, sagte er, »ich will kein Gold, Mollo. Laß mich weiter hinuntersteigen in die Tiefe.«
    Mollo wiegte sein formloses Haupt und sagte: »Klug ist er, der Winzling. Wäre ihm vielleicht auch übel bekommen, dem Winzling, wenn er nach dem Gold gegriffen hätte. Weiß er denn, ob Mollo es hätte ertragen können,

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