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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Lauscher ein Herz und begann mit den Füßen voran vorsichtig in den steil abfallenden Gang hinabzusteigen. Jeden Halt mußte er erst mit den Fußspitzen ertasten und auf seine Festigkeit überprüfen, ehe er es wagte, sich ihm anzuvertrauen und ein Stück weiter vorzudringen. Einmal brach ein Stück Gestein unter seinem Tritt los und polterte in langen Sprüngen in die Tiefe. Unendlich langsam kam er auf diese Weise voran, und doch troff ihm der Schweiß bald von der Stirn.
    Als er sich eine Weile auf einem Felsabsatz ausgeruht hatte und eben den Abstieg fortsetzen wollte, hörte er ein leises Wispern, das von unten mit dem leichten Zugwind zu ihm heraufdrang. Sofort hielt er in der Bewegung inne und lauschte, doch da war alles wieder still. Erst als er schon wieder ein Stück weiter hinabgeklettert war, ließ sich dieses Wispern wieder vernehmen, diesmal schon etwas deutlicher. Es klang, als spreche jemand leise und monoton vor sich hin, aber die Worte waren nicht zu verstehen. Zugleich bemerkte Lauscher, als er hinab in die Tiefe spähte, weit unter sich einen gelblichen Schimmer. Jetzt, da er ein Ziel vor Augen hatte und bald auch in diesem schwachen Schein schon einige Tritte und Griffe ausmachen konnte, kam er rascher voran, und mit jedem Schritt wurde auch die Stimme deutlicher vernehmbar.
    »Da habe ich einen schönen, dicken, runden Klumpen Gold«, sagte sie, »und hier ist noch einer, den ich dazulegen will, und den dort drüben hole ich mir auch noch.« Lauscher hörte ein leises Schlurfen und Ächzen, als bewege sich ein schwerfälliger Körper, dann flüsterte es wieder: »Hab ich dich, mein schönes, glänzendes Goldstück, gleich lege ich dich zu den andern, komm nur, mein Schatz, mein kostbares Kleinod.«
    Lauscher war nun dicht über der Stelle, an der sein Abstieg in einen größeren Raum zu münden schien, aus dem das Licht heraufdrang. Vorsichtig und ohne ein Geräusch zu machen, ließ er sich das letzte Stück hinab und blickte in eine gewölbte Höhle, die schwach erleuchtet wurde vom Glanz einzelner golden schimmernder Brocken, die überall in den Wänden steckten wie Rosinen im Kuchen und an einer Stelle im Hintergrund am Boden aufgehäuft waren, und während er sich noch fragte, woher diese Stimme, die er gehört hatte, gekommen sein mochte, sah er, wie eine unförmige Masse, die er eben noch für einen Felsblock gehalten hatte, langsam über den unebenen Boden kroch und sich über das Bett aus faustgroßen goldenen Kieseln zu schieben begann.
    »Kommt hier einer, der mir mein Gold stehlen will?« sagte die Stimme. »Laßt euch schön zudecken, meine Liebchen, keiner soll euch sehen, keiner soll euch betasten, keiner soll euch mir wegnehmen!« und während die schimmernden Goldklumpen Stück für Stück unter dem unförmigen Körper verschwanden, begann Lauscher erst die Ausmaße dieses Wesens zu ahnen, das wie eine ungeheure Schnecke über seinen Schatz kroch, bis es ihn völlig verdeckte. Doch kaum lag es ruhig, begann es schon wieder zu wispern: »Ach, dort drüben in der Wand steckt ja noch ein köstlicher goldener Klumpen, und ich kann ihn mir nicht holen, weil ich meinen Schatz nicht verlassen darf.«
    Lauscher grauste es vor diesem Wesen, dessen Gestalt im Halbdunkel kaum auszumachen war. Aber wenn er weiter in die Tiefe vordringen wollte, mußte er durch diesen Raum gehen, um die Mündung eines Ganges zu erreichen, die ihm von der gegenüberliegenden Wand entgegengähnte; einen anderen Weg gab es nicht. So nahm er all seinen Mut zusammen und sagte: »Ich will dein Gold nicht. Laß mich nur durch deine Höhle gehen, ich bitte dich!«
    »Er will kein Gold?« wisperte das Wesen. »Kein Gold will dieser Winzling? Lügt wohl, dieser Winzling? Er soll nur wagen, hier hereinzukommen! Würde ihm übel bekommen! Würde ihm übel bekommen, wenn ich mich auf ihn lege und ihn erdrücke! Soll er nur kommen!«
    »Ich nehme dir nichts weg!« sagte Lauscher. »Was ich suche, ist noch tiefer in diesem Berg verborgen.«
    »Was sucht er denn, dieser Winzling?« sagte das Wesen. »Soll er mir doch sagen, was er sucht.«
    »Einen Ring und eine Kette«, sagte Lauscher.
    »Den goldenen Ring will er haben und die goldene Kette?« sagte das Wesen. »Also will er doch Gold für sich nehmen.«
    »Nicht für mich«, sagte Lauscher, aber das Wesen fauchte böse und sagte: »Lügt wohl schon wieder, dieser Winzling? Warum soll einer etwas nehmen, wenn nicht für sich selbst? Ein Dieb ist er, und ich werde ihn

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