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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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wurde nun von keiner unsichtbaren Kraft mehr zurückgehalten, als er in die Höhle eintrat und bewundernd vor den umherschwebenden Kristallen stehenblieb. Es war schön, aus der Nähe zuzuschauen, wie sie auf ihren Bahnen dahinglitten und stets neue, überraschende Figuren bildeten wie die Variationen zu einem Lied. »Du mußt spielen!« sagte das Kerlchen, das jetzt mit devoten Verbeugungen um ihn herumsprang. »Spiele auf deiner Flöte, ehe alles wieder aus dem Gleichgewicht gerät! Jetzt bist du der Meister, der die Welt nach seinem Willen lenkt.«
    Für einen Augenblick schien es Lauscher, als sei dies wirklich das gesamte Universum, das schimmernd vor ihm im Dunkel des Raumes schwebte, und es überkam ihn die Lust, diese Macht weiter zu genießen, die ihm seine Flöte verlieh, und sich selber ein Schauspiel zu bereiten, dem nichts auf der Welt gleichkam; denn es war die ganze Welt selbst, die er durch seine Macht zum Schwingen brachte. Er würde es besser machen als dieser Direx, der ihn mit fahrigen Armbewegungen zu diesem Geschäft drängte. »Bleib hier!« murmelte der spinnige Zwerg. »Wenn du dich erst einmal in den Tanz der Sterne verloren hast, wirst du nie wieder etwas anderes tun wollen.«
    Etwas anderes tun! Das war’s, was er gewollt hatte, als er in diesen Raum eingetreten war. Etwas anderes tun, statt sich dem Zwang dieses Spielwerks zu unterwerfen. Jetzt begriff Lauscher, worauf er sich beinahe eingelassen hatte, und sagte: »Dieses Spielzeug überlasse ich dir. Ich suche etwas anderes, und das liegt noch tiefer in diesem Berg verborgen.«
    Er sprang durch den anderen Ausgang der Höhle und schritt rasch weiter, so lange er im schwindenden Licht der Kristalle noch den zerklüfteten Boden des Ganges erkennen konnte, und hinter sich hörte er den Direx jammern: »Ach, da geraten sie schon wieder in Unordnung, meine Sterne, und ich kenne die Regel nicht, nach der sie dieser Flöter hat kreisen lassen! Wie soll ich nun Ordnung schaffen? Wie nur?« Dann erstarb das Gemurmel, und Lauscher war wieder allein in der Finsternis.
    Während Lauscher sich langsam an der von merkwürdig glatten Runzeln überzogenen Wand des Ganges weitertastete, spürte er Feuchtigkeit unter den Fingern, und auch auf dem unebenen Boden standen hie und da Wasserlachen, in die er unvermutet hineintappte. Ständig tropfte es von der Decke, und seitwärts hörte er das Glucksen von Bächen, die durch ausgewaschene Felsspalten herabrannen und in der Tiefe verschwanden. Dann senkte sich der Weg, und das Wasser stieg. Bis zum Bauch reichte ihm bald die Flut, die sich aus immer mehr Zuflüssen speiste. Unter seinen Fingern spürte er die glatte Oberfläche von hängenden Tropfsteinen, die bis zum Wasserspiegel herunterreichten und ihm ein weiteres Vordringen verwehrten, doch er brach sich einen Weg frei und gelangte völlig durchnäßt zu einer Stelle, an der dieser Gang an einer steil aufsteigenden Felswand sein Ende zu haben schien. An den Seiten war nirgends ein Durchschlupf zu entdecken, und so machte er sich daran, diese von eisglattem Sinter überzogene Wand zu ersteigen.
    Ein paarmal rutschte er ab und plumpste zurück ins Wasser, aber endlich gelang es ihm, höher hinaufzuklettern, bis er eine Kante erreichte, über der es weiter voran zu gehen schien. Als er den Kopf über diese Felsbarriere hob, sah er grünliche Spiegelungen von Licht über die schimmernde Höhlendecke geistern, und nachdem er noch ein Stück vorangekrochen war, blickte er hinab zu einem weiten unterirdischen See, der wie ein riesiger, grünleuchtender Edelstein den Raum einer Höhle ausfüllte, von deren Dach zahllose Tropfsteingebilde herabhingen, riesige, sich nach unten verjüngende Zapfen und sanft gewellte Vorhänge, die aussahen, als hätten sie im Wind geflattert, ehe sie zu milchigem Stein erstarrt waren. Das smaragdene Licht schien aus der Tiefe des Sees heraufzudringen und verdunkelte sich nach den Rändern zu immer satteren Nuancen von Grün bis zur Farbe von fast schwarzem Turmalin.
    Während er noch oben auf den Felsen lag und dieses Wunder bestaunte, rauschte das Wasser auf, und drei grünhaarige Wasserfrauen tauchten aus der Tiefe. Sie glitten wie Delphine durch die aufschäumende Flut, glatte Brüste schimmerten auf, weich gerundete Hüften, und während die Wasserfrauen im Spiel einander umschwammen, begannen sie ein wortloses Lied zu singen, das von den Wänden der Höhle in vielfachem Widerhall zurückgeworfen wurde und dessen lockende,

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