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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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wenn jemand von seinem Gold nimmt? Geh nur, Winzling, geh, solange du noch kannst!«
    Das ließ sich Lauscher nicht zweimal sagen. Er schlüpfte durch den zweiten Ausgang der Höhle in eine Kluft, die fast eben weiterführte, und bald schwand hinter ihm der letzte Schimmer von Mollos Goldhöhle, so daß er sich wieder im Finstern weitertasten mußte. Einmal schien der Gang an einer glatten Wand zu enden, doch Lauscher fand nach langer, mühevoller Suche einen Spalt, durch den er sich hindurchzwängen konnte. Er mußte über Felsbrocken klettern, die den Weg versperrten, kroch auf dem Bauch durch einen niedrigen Stollen, in dem er kaum den Kopf heben konnte, und diese Engstelle mündete in einen weiten Raum, von dessen Wänden jedes Geräusch vielfach widerhallte. Lauscher richtete sich auf, um diese Höhle zu durchqueren, doch schon beim ersten Schritt geriet er auf gleitendes Geröll, das ihn hinabriß in einen Schlund, durch den er mit wachsender Geschwindigkeit zwischen rutschendem und polterndem Schotter in die Tiefe fuhr. Er spürte noch, wie seine Füße auf felsigen Boden aufschlugen und blieb dann eine Weile halb bewußtlos vor Schreck liegen, während neben ihm noch immer Steinbrocken herabkollerten. Schließlich rappelte er sich auf und fand sich in einem schmalen Gang, der hoch genug war, daß man darin stehen konnte.
    Als das nachrutschende Gestein endlich zur Ruhe gekommen war, wurde ein Raunen wahrnehmbar, das aus der Tiefe des Ganges zu kommen schien. Langsam tastete sich Lauscher an der Wand entlang weiter, und nach einer Biegung schimmerte weit voraus eine Spur von Helligkeit. Vorsichtig schlich er auf diesen schwachen Schein zu und konnte jetzt dieses Raunen schon deutlicher hören. Sogar einige Worte hoben sich aus dem eintönigen Gemurmel heraus: »Kristall … Fläche … Winkel … Ebenmaß.« Mehr war noch nicht zu verstehen. Als er die nächste Biegung des Ganges erreicht hatte, blickte er durch eine glatte, gerundete Öffnung in einen Raum, der von kaltem, farblosem Licht erfüllt war. Mit wenigen Schritten gelangte er zur Mündung des Ganges und sah nun, wo dieses Licht seinen Ursprung hatte.
    In der Mitte der weiten Höhle schwebten wie an unsichtbaren Fäden aufgehängt zahllose weißfunkelnde Kristalle, die in ständiger Bewegung umeinander kreisten, und daneben bewegte sich eine seltsam spinnenhafte Gestalt: Ein winziger, magerer Körper mit unsäglich langen und dürren Gliedmaßen trug einen birnenförmigen Kopf, über dessen zusammengeschrumpftem Gesicht der kahle Schädel unförmig aufgeschwollen war, und dieses Kerlchen tanzte mit zuckenden Bewegungen und unter ständigem Murmeln rings um die schwebenden Kristalle. »Jetzt ist die Ordnung hergestellt«, sagte es, »alle Kristalle im richtigen Winkel zueinander, alle Flächen parallel, jeder Sektor ein Spiegelbild des nächsten, alle Kreise koordiniert – nein doch, nein! Hier muß ich die Ekliptik regulieren, dort gibt es Unordnung, und das darf nicht sein«, und schon sprang das Kerlchen auf die kreisenden Kristalle zu und streckte seine blassen Spinnenarme aus, um irgendwie in dieses zauberische Gebilde einzugreifen, doch schon stießen zwei der Kristalle mit einem feinen, gläsernen Ton zusammen und gerieten taumelnd aus ihrer Bahn. »Diese Unordnung, diese Unordnung!« murmelte das Kerlchen. »Nun muß ich wieder von vorn anfangen, alles austarieren, alles justieren, alles regulieren!« Er grabschte die umherirrenden Kristalle mit seinen dürren Fingern aus dem Reigen der übrigen heraus, setzte dann beide wieder mit großer Sorgfalt an ihre vorbestimmte Stelle und gab ihnen einen leichten Stoß, der sie in ihre ruhige Kreisbewegung einschwingen ließ.
    Lauscher hatte diese seltsamen Verrichtungen mit Verwunderung beobachtet und dabei an der gegenüberliegenden Wand eine zweite kreisrunde Öffnung entdeckt, durch die man die Höhle nach der anderen Seite verlassen konnte. Eine Zeitlang wagte er das geschäftig hin und her hüpfende Kerlchen nicht zu stören, aber als es unter ständigem Murmeln immer weiter an seinem Spielzeug bastelte, kam er zu der Erkenntnis, daß er hier ewig warten konnte, bis dieses spinnenbeinige Wesen sich einmal eine Ruhepause gönnte. »Entschuldige, wenn ich dich in deinem Spiel störe«, sagte er deshalb. »Willst du mir gestatten, daß ich durch deine Höhle gehe? Ich muß noch weiter in die Tiefe steigen.«
    Das Kerlchen fuhr herum, als sei es von einer Schlange gebissen worden. »Spiel?«

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