Stein und Flöte
süße Melodie in dem Lauscher die Sehnsucht weckte, mit diesen Wasserwesen dort unten durch das sprühende Wasser zu tauchen und ihre feuchte Haut zu berühren. Doch er hatte noch nicht vergessen, was er hier suchte, und so richtete er sich auf und rief: »Hört mich, ihr schönen Wasserfrauen! Könnt ihr mir sagen, wo ich hier einen goldenen Ring von der Gestalt eines Falken und eine Kette dazu finden kann? Kennt ihr den Schmuck?«
Da lachten die drei, daß es von den Wänden widerhallte, und eine von ihnen sagte: »Den wirst du nie finden, denn er liegt so tief auf dem Grund dieses Sees, daß du schon ertrunken sein würdest, ehe du auch nur die halbe Strecke hinabgetaucht wärst, du armseliges Menschlein!« Und dann wollten sich die drei wieder ausschütten vor Gelächter.
»Könnt ihr sie mir nicht heraufholen?« fragte Lauscher und kletterte ein Stück tiefer.
»Wie kämen wir dazu?« sagten die drei Wasserfrauen. »Was dieser See behütet, bleibt für die Hände gieriger Menschen unerreichbar«, und dann begannen die drei wieder zu singen und kümmerten sich nicht mehr um den ungebetenen Zuhörer. Ihr Gesang brachte Lauscher auf den Gedanken, daß ihm vielleicht auch hier seine Flöte weiterhelfen könne. Er zog sie aus der Tasche, blies das Wasser heraus und fing an, den Gesang der Wasserfrauen mit Melodien zu umspielen, die sie seinen Bitten geneigter machen sollten. Doch je länger er sich dem Klang ihrer hohen, vogelhaften Stimmen hingab, desto stärker wuchs in ihm der Wunsch, im Reigen der grünhaarigen Nixen durch das smaragdene Wasser zu gleiten, eines dieser geschmeidigen Wesen einzufangen und in den Armen zu halten, und dieser Wunsch gewann auch Gewalt über sein Flötenspiel, bis die Wasserfrauen riefen: »Komm zu uns in den See, Flöter! Bleib bei uns und spiel uns deine Musik!«
Dieser Einladung konnte Lauscher nicht widerstehen. Er sprang die letzten Felsstufen hinab, setzte sich ans Ufer und spielte noch süßere Variationen zu dem Lied der Nixen, die immer näher zu ihm hergeschwommen kamen, angezogen von der Macht seiner Flöte, wie er meinte. Gleich waren sie bei ihm, umfaßten seine Füße, berührten mit ihren feuchten Händen sein Gesicht, und schließlich sagte eine von ihnen: »Komm, Flöter! Sei einer von uns!«
Lauscher legte seine Flöte beiseite, und schon zogen sie ihn in die kühle Flut, um mit ihm zu spielen. Sobald er ins Wasser eingetaucht war, merkte Lauscher zu seinem Entsetzen, daß es ihn nicht trug. Mit unwiderstehlicher Macht zog es ihn hinab in die Tiefe und schlug über seinem Kopf zusammen. Während er unter dem Gelächter der Nixen wild um sich schlug und noch einmal auftauchte, kam ihm der Name der Wasserfrau in den Sinn, die sich früher einmal als hilfreich erwiesen hatte. »Laianna!« schrie er. »Laianna, hilf mir!«, und dann versank er wieder, um, wie er meinte, nie mehr aufzutauchen, sank und sank und war schon kaum mehr bei Bewußtsein, als er spürte, wie er bei der Hand gefaßt und nach oben gezogen wurde.
Eine Zeitlang lag er keuchend und hustend am Ufer und spie das Wasser aus, das er geschluckt hatte. Dann kam er langsam wieder zur Besinnung und sah, daß es tatsächlich Laianna war, die ihn aus dem See gezogen hatte. Sie saß neben ihm und lächelte. »Auf solche Weise solltest du dich lieber nicht mit den Nixen einlassen«, sagte sie. »Manche von unserer Art sind ein bißchen dumm und vergessen immer wieder, daß Menschen es im Wasser nicht lange aushalten. Ich habe sie weggeschickt, damit ihr Anblick deine Sinne nicht von neuem verwirrt. Vorher haben sie mir gesagt, wonach du hier suchst. Tut es dir jetzt leid, daß du mir damals die Kette und den Ring geschenkt hast?«
»Nein«, sagte Lauscher. »Mir wäre es lieber, wenn beides für immer auf dem Grund dieses Sees liegen bliebe. Aber nach allem, was ich erfahren habe, kann meiner Tochter nur mit Hilfe dieser Zauberdinge geholfen werden«, und er erzählte ihr, was er darüber wußte.
»Du willst den Falkenschmuck also nur leihen?« fragte Laianna.
»Ja«, sagte Lauscher. »Du sollst ihn zurückbekommen, denn er gehört dir.«
»Und wenn der Falke ihn aber nicht mehr aus den Klauen läßt?« fragte Laianna.
Lauscher zuckte mit den Schultern. »Dann werde ich versuchen müssen, ihm den Schmuck wieder abzujagen«, sagte er.
»Ich hoffe, du weißt, worauf du dich da einläßt«, sagte die Wasserfrau. »Du gehst ein gefährliches Wagnis ein. Dennoch sollst du die Zauberdinge bekommen, aber du
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