Stein und Flöte
Zuweilen traten die Felswände näher zusammen, und dann weitete sich die Höhle wieder zu neuen Sälen, in denen noch mehr Kostbarkeiten in dem immer gleichbleibenden schattenlosen grünen Licht schimmerten, und Lauscher glitt darüber hin und meinte zu träumen, einen Traum vom schwerelosen Schweben, der kein Ende nehmen wollte und ihn in immer weitere Räume führte.
Er wußte nicht, wie lange er so geschwommen war, als das Licht plötzlich an Intensität zunahm. Unwillkürlich blickte er nach oben und sah in der Höhe eine smaragdene Sonne stehen, deren kreisrunder Umriß sich scharf im Wasser abzeichnete. Da wußte er, daß er die Stelle erreicht hatte, an der Narzias Zauberschmuck liegen mußte. Der mugelige Boden war hier von einem glitzernden Moos aus winzigen Kriställchen überzogen, das sich zu Polstern aufwölbte, und auf einem dieser gerundeten Kissen sah Lauscher die zum Kreis ausgebreitete Kette liegen und in ihrer Mitte den Ring. Eine Zeitlang schwebte er darüber und bewunderte die kunstvolle Goldschmiedearbeit und den funkelnden Stein, in dem sich all das Licht zu fangen schien, das aus der Höhe herunterdrang. Dann nahm er den Schmuck an sich, steckte ihn in die Tasche und schwamm nach oben auf die grüne Sonne zu.
Die kreisrunde, grünleuchtende Fläche weitete sich, je näher er ihr kam, und dann erkannte er, daß dies ein Durchlaß in der Höhlendecke war, über dem lichtdurchflutetes Wasser stand. Er war so begierig zu erfahren, was er dort in der Höhe vorfinden würde, daß er sich mit einem raschen Schwimmstoß durch die Öffnung gleiten ließ und dabei mit dem Arm die rauhe Felswand streifte. Da zerriß Laiannas Haar, und im gleichen Augenblick meinte er zu ersticken unter dem jähen Anfall von Beklemmung, der ihm die Lungen zusammenpreßte. Er schlug wild um sich, schluckte Wasser und war kaum noch bei Bewußtsein, als er spürte, daß sein Kopf die Oberfläche durchbrach. Gierig zog er die Luft ein, sah unmittelbar vor sich ein steiniges Ufer, kämpfte sich durch das Wasser, fühlte festen Boden unter den Füßen und schleppte sich an Land. Dort lag er dann eine Zeitlang keuchend und nach Luft schnappend, bis sein Herz allmählich wieder ruhiger schlug.
Als er sich aufrichtete und um sich blickte, fand er sich am Ufer jenes Sees, in den er vor Jahren den Schmuck hineingeworfen hatte. Über ihm ragte die rötlich schimmernde Felswand auf, und darüber stand die Nachmittagssonne am Himmel. Er ruhte sich noch eine Weile aus, stieg dann durch die Kluft hinauf in die Felswand und kroch durch das ausgeschwemmte Bachbett weiter aufwärts, bis er oben im Hochwald wieder ins Freie gelangte. Schon während er sich durch die enge Röhre hinaufarbeitete, hatte er von oben den Klang einer Flöte gehört, und als er jetzt aus der Kluft hinauskletterte, sah er Schneefink am Fuß einer turmhohen Fichte sitzen und auf seiner Flöte spielen. Der Junge brach mitten im Ton ab, sobald er ihn erblickte, sprang auf und lief ihm entgegen. »Da bist du ja endlich!« rief er. »Ich wollte schon unsere Sachen packen und hinunter zu den Hirtenhäusern reiten.«
»Warum so früh?« fragte Lauscher. »Ich hatte dir doch gesagt, du solltest drei Tage warten.«
»Die waren schon heute vormittag vorüber«, sagte der Junge, »und jetzt geht die Sonne bald unter. Weißt du das nicht?«
»Dort unten, wo ich gewesen bin, gab es keine meßbare Zeit«, sagte Lauscher. »Ich hätte dir nicht sagen können, ob ich nur einen halben Tag oder ein paar Wochen dort verbracht habe. Aber jetzt, wo du sagst, daß ich mehr als drei Tage unterwegs gewesen bin, glaube ich dir das aufs Wort; denn so hungrig bin ich seit langem nicht mehr gewesen.«
Also setzten sie sich erst einmal hin und aßen etwas von den Vorräten, die Schneefink mit auf die Reise genommen hatte, und als dieser die Reste wieder weggepackt hatte, fragte er: »Hast du dort gefunden, was du gesucht hast?«
»Ja«, sagte Lauscher, griff in die Tasche und zog Narzias Zauberschmuck heraus. Schneefink betrachtete staunend das goldene Geschmeide und den Ring mit dem funkelnden Smaragd und fragte: »Hast du diese Dinge einfach weggenommen?«
»Nein«, sagte Lauscher. »Ich mußte meine Flöte als Pfand zurücklassen. Falls in nächster Zeit ein Flöter gebraucht wird, wirst du an meine Stelle treten müssen.«
Während der nächsten drei Tage ritten sie durch den Wald zurück bis zu der Quelle unter dem Ahornbaum, und als sie dort angekommen waren, sagte Lauscher:
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