Stein und Flöte
mußt mir ein Pfand hierlassen.«
»Was für ein Pfand?« sagte Lauscher. »Ich habe nicht viel mitgenommen, als ich hier heruntergestiegen bin.«
»Genug«, sagte Laianna. »Du hast etwas bei dir, was den Wert von Narzias Zauberschmuck bei weitem aufwiegt: deine Flöte.«
Lauscher erschrak, als er das hörte. Wenn er den Schmuck nicht zurückbekam, verlor er auch seine Flöte. Aber dann dachte er an seine Tochter und nickte. Er nahm die Flöte, die noch an der gleichen Stelle lag, an die er sie zuvor hingelegt hatte, als ihn die Nixen ins Wasser gelockt hatten, und gab sie Laianna in die Hand. »Holst du mir jetzt den Ring und die Kette?« fragte er.
»Das kann ich nicht«, sagte Laianna. »Weißt du nicht mehr, was ich gesagt habe, als du mir beides geschenkt hast? Wer sie haben will, muß sie schon selber aus der Tiefe holen.«
Da verlor Lauscher alle Hoffnung. »Wie soll mir das gelingen«, sagte er, »wo ich eben schon fast ertrunken wäre?«
Laianna lachte und sagte: »Du wirst unter Wasser schwimmen wie ein Fisch.« Sie riß eines ihrer langen grünblonden Haare aus, und band es Lauscher um den nackten Oberarm. »Solange du dieses Haar trägst«, sagte sie, »wirst du sein wie einer von uns und auch unter Wasser atmen können. Du mußt hinuntertauchen bis auf den Grund. Sobald eine grüne Sonne über dir steht, wirst du finden, was du suchst. Auf diese Sonne mußt du dann zuschwimmen. Viel Glück, Lauscher, und denk an deine Flöte!«
Nachdem er eben ums Haar ertrunken wäre, hatte Lauscher Furcht davor, sich noch einmal dem Wasser anzuvertrauen, aber es blieb ihm keine andere Wahl. So ließ er sich in den grünschimmernden See gleiten und sank sofort in die Tiefe. Felsen glitten an ihm vorüber, an denen die hellen Zacken von Tropfsteinen aufgereiht waren wie das Gebiß eines riesigen Ungeheuers, das ihn hinabsaugte in seinen unergründlichen Schlund. Er sank tiefer und tiefer und hielt dabei noch immer den Atem an, weniger deswegen, weil er den Worten Laiannas nicht vertraut hätte, sondern weil sein Körper sich dagegen wehrte, solange das Wasser ihn umschloß. Schon tanzten rote Kreise vor seinen Augen, und er war nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren, als er den Widerstand aufgab und sich gegen alle Vernunft dazu zwang, Atem zu schöpfen, und das, was in seine Lungen strömte, war kühl und erfrischend wie die klare Luft, die man einatmet, wenn man nach langer Wanderung auf einem Berggipfel rastet. Zugleich wurde ihm auch das Element vertraut, in dem er sich befand. Seine Bewegungen paßten sich der leichten Strömung an, die ihn hinabzog, und nun schwamm er wirklich wie ein Fisch mit dem Kopf voran weiter auf das smaragdene Leuchten zu, das immer heller zu ihm heraufstrahlte.
Als er sich dem Grund des Sees näherte, geriet er in eine phantastische Landschaft. Hier gab es sanfte Hügel und gewundene Täler, deren Oberfläche überzogen war von einem Rasen funkelnder Kristalle, in deren spiegelnden Flächen sich das grüne Licht tausendfach brach. Er schwamm ruhig darüber hin und entdeckte dabei, daß hier unten noch weitaus mehr und Kostbareres zu finden war als Narzias Zauberschmuck. Da lag in einem Nest aus glasklaren Kristallnadeln ein Gehänge von nußgroßen, seidig schimmernden Perlen; auf dem Stumpf einer Tropfsteinsäule saß eine goldene, mit Edelsteinen besetzte Krone, und darunter lehnte ein Schwert von merkwürdig altertümlicher Form, dessen Elfenbeingriff am Ende als Knauf einen eigroßen Rubin trug; auf einer ebenen, von irisierendem Sinter überzogenen Platte standen goldene Gefäße aufgereiht, Becher, Schalen und Kannen, deren Oberflächen von getriebenen Ornamenten überzogen waren: Reiter in fremdartigen Gewändern waren da zu sehen, die zur Jagd ritten, manche mit einem Falken auf der Faust und andere mit Pfeil und Bogen; im Boden einer flachen Schale tanzten Mädchen in weit schwingenden Gewändern einen Reigen, und auf der Wandung eines zweihenkligen Bechers tummelten sich Delphine und allerlei anderes Wassergetier.
Lauscher hatte jede Beklemmung verloren, betrachtete alle diese Schätze und fragte sich, welch mächtige Leute es wohl gewesen sein mochten, die einen Teil ihrer Reichtümer geopfert hatten, um sich das Wohlwollen der Wasserfrauen zu sichern. Ihre Gaben wurden offensichtlich in Ehren gehalten, denn sie waren sorgsam aufgestellt in dieser unterirdischen Schatzkammer, deren Ausdehnung viel größer zu sein schien als der See, durch den er hinabgetaucht war.
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