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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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kleinen Vorraum in die Stube. Hier hatte sich seit seiner Abreise vor zwölf Jahren wenig verändert, nur die Drechselbank war nicht mehr da. Döli hatte sie wohl mit nach Arziak genommen, um sich dort eine Werkstatt einzurichten. Lauscher trat noch einmal vor die Tür, zäumte die Pferde ab und führte sie auf die Weide. Dann ging er zurück zur Hütte und trug Sattel und Packtaschen hinein.
    Er hatte eben ein Fenster aufgestoßen und auf der Herdstelle ein Feuer angezündet, um den abgestandenen Geruch aus der Stube zu vertreiben, als er hörte, wie die Außentür geöffnet wurde. Gleich darauf trat ein großer, graubärtiger Mann ein, und hinter ihm folgte Schneefink, der einen in Decken gehüllten Packen auf der Schulter trug. Der Mann blieb unter der Tür stehen, blickte Lauscher an und sagte: »Also bist du es wirklich! Ich wollte erst gar nicht glauben, was der Junge sagt. Denn hier hat man seit Jahren nichts von dir gehört.«
    »Kennst du mich denn?« fragte Lauscher.
    »Ich habe dich damals ein paarmal gesehen«, sagte der Mann, »aber du wirst dich kaum an mich erinnern, denn miteinander gesprochen haben wir nie.«
    »Ich erinnere mich sehr genau an dich«, sagte Lauscher. »Du bist der Mann, der damals den alten Wazzek ins Tal gebracht hat.«
    »Das stimmt«, sagte der Mann überrascht. »Aber woher weißt du das? Du warst doch gar nicht dabei.«
    »Doch«, sagte Lauscher. »Nur konntest du mich nicht sehen, weil ich in den Büschen versteckt war. Nur deinen Namen kenne ich nicht.«
    »Ich heiße Ruzzo, und ich habe hier die Aufsicht über die Pferdeweide, seit Wazzek vor drei Jahren gestorben ist«, sagte der Mann. »Der Junge hat mir berichtet, daß du mich sprechen willst. Worum geht es?«
    »Das müssen wir nicht hier im Stehen abmachen«, sagte Lauscher und lud Ruzzo ein, sich zu ihm ans Feuer zu setzen. Schneefink hatte inzwischen den Packen auf die Schlafstelle gelegt; er schlug die Decke auseinander und brachte dabei einen Leinenbeutel mit allerlei Vorräten zu Tage, die er auf den Tisch legte: ein paar Fladenbrote, ein großes Stück Trockenfleisch, einen runden Käse und einen prallgefüllten Schlauch aus Ziegenleder.
    Ruzzo hatte ihm zugeschaut und sagte: »Wenn wir schon länger miteinander zu reden haben, können wir auch einen Schluck Wein dazu trinken. Hol uns vom Wandbrett ein paar Becher, Junge, und auch einen für dich!«
    Schneefink stellte drei holzgedrechselte Becher auf den Tisch, öffnete den Weinschlauch und schenkte ein. Dann setzte er sich zu den beiden anderen.
    »Es tut mir leid, daß der alte Wazzek gestorben ist«, sagte Lauscher. »Ich hätte ihn gern noch einmal gesehen.«
    »Das kann ich gut verstehen«, sagte Ruzzo. »Er wußte nicht nur mit Pferden umzugehen, sondern war auch ein Mann, mit dem sich gut reden ließ. Er hat mir viel von dir erzählt, und das hat dazu geführt, daß ich meine Meinung über dich geändert habe. Du mußt wissen, daß wir hier in Arziak auf diesen Flöter seinerzeit nicht gut zu sprechen waren.«
    »Dazu hattet ihr allen Grund«, sagte Lauscher, »und vor allem auch Wazzek selbst. Dabei ist er es gewesen, der mir geholfen hat, mit meinen Schuldgefühlen fertig zu werden.«
    »Und mir hat er sogar das Leben gerettet«, sagte Ruzzo. »Damals, als ich ihn ins Flachtal brachte, hat er mir zum Abschied eine Fischschuppe gegeben. Ich habe sie um den Hals gehängt, ohne mir viel dabei zu denken, und trug sie seither unter dem Hemd eher zur Erinnerung an einen Freund. Erst als dann die Beutereiter in Arziak hausten, bekam ich eine andere Meinung davon. Ich ritt damals mit den Leuten des Erzmeisters, und als der erste Angriff auf den Ort abgeschlagen war, teilte er mich einer kleinen Reitergruppe zu, die beobachten sollte, ob sich die Beutereiter irgendwo im Tal wieder zeigten. Anfangs war es, als hätte sie der Erdboden verschluckt. Tagelang ritten wir talauf und talab, ohne auch nur einen Pferdeschwanz zu Gesicht zu bekommen. Als wir uns dann sicher fühlten und kaum noch einen Angriff befürchteten, waren sie auf einmal da. Unmittelbar über uns brachen sie aus dem Wald, fünfzig oder sechzig Reiter, und wir waren nur zu sechst. Da trieben wir unsere Pferde im Galopp hinunter ins Tal. Zwei von uns wurden gleich aus dem Sattel geschossen; die mir voran waren, preschten durch eine Furt im Fluß, der dort schon ziemlich breit ist, aber mein Pferd scheute und warf mich ab.
    Als ich am Boden lag und hinter mir die Reiter mit schrillen Schreien

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