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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Mäuse. Aber mich hätte sie nicht verzaubert, das weiß ich genau.«
    Nun mußten alle lachen, und Belarni sagte: »Ich glaube nicht, daß es den Leuten in Arziak recht gewesen wäre, wenn deine Mutter und ich als Mäuse von diesem Ausflug zurückgekommen wären.«
    Das brachte Urla noch mehr zum Lachen, und als sie wieder zu Atem kam, sagte sie: »Ich hätte dann jeden von euch in eine Tasche meines Kittels gesteckt, die eine Maus rechts und die andre Maus links, damit ich euch nicht verwechsle, und wenn dann der Große Rat zusammentritt, hätte ich euch nacheinander auf den Tisch gesetzt. Das ist die Erzmeisterin, hätte ich gesagt, und das ist der Khan. Seid alle schön leise, damit ihr hören könnt, was sie euch zu sagen haben!«
    Lauscher hatte ihr lächelnd zugehört, doch bei ihren letzten Worten stutzte er. »Bist du jetzt die Erzmeisterin, Arnilukka?« fragte er.
    »Ja«, sagte sie. »Vor fünf Jahren ist meine Mutter gestorben. Ich würde dich gern in unsere Stube in den Hirtenhäusern drüben einladen, um dir zu erzählen, wie jetzt die Dinge in Arziak stehen, aber ich weiß nicht, ob Narzia dich noch von ihrem Zauberbann befreien konnte. Willst du versuchen, ob du uns begleiten kannst?«
    Schon seit dem Augenblick, in dem Narzias Hand kraftlos herabgesunken war, hatte Lauscher sich ständig gefragt, ob sie ihren Spruch – wenn auch unhörbar – hatte zu Ende sagen können, aber das Verweilen unter dem schützenden Dach der Bäume war ihm schon so zur Gewohnheit geworden, daß es ihn große Überwindung kostete, aus dem Schatten hinaus ins Freie zu treten. Während er noch unschlüssig dastand, nahm ihn die kleine Urla bei der Hand und sagte: »Du mußt es versuchen! Komm!« Sie zog ihn hinaus auf die Wiese, und Lauscher war darauf gefaßt, daß ihn seine Angst wie ein herabstürzender Felsblock treffen würde. Aber der Schlag blieb aus: Er spürte nur eine leichte Beklemmung, die ebensogut ihre Ursache darin haben konnte, daß er den Aufenthalt unter freiem Himmel so lange gemieden hatte.
    »Siehst du!« sagte Urla lachend, »es geht!« Sie ließ seine Hand los, um zurück zu ihrer Mutter zu laufen. Doch in diesem Augenblick war ihm, als zöge sich ein eiserner Ring um sein Herz zusammen. Die Angst war wieder da, wenn auch nicht so überwältigend, daß sie ihm das Bewußtsein hätte rauben können. Unter Aufbietung all seiner Kräfte blieb er stehen, wo er war, und stellte fest, daß er es aushalten konnte, wenn ihm auch der kalte Schweiß auf die Stirn trat. »Sie hat es wohl nur zur Hälfte geschafft«, sagte er mühsam, und in einem Anflug von grimmigem Scherz fügte er hinzu: »Bei mir ist ihr wohl jeder Zauber nur halb gelungen. Gib mir deine Hand, Urla! Wenn du bei mir bist, geht es leichter.« Und so war es auch: Sobald er wieder ihre kleine, warme Hand hielt, löste sich der Krampf, und das ungute Gefühl, das ihm noch zurückblieb, schien ihm jetzt schon kaum noch der Rede wert.
    Auf solche Weise gingen sie miteinander über die Wiesen hinüber zu den Hirtenhäusern, und sobald er ein Dach über dem Kopf spürte, konnte Lauscher wieder frei atmen. Es war die gleiche Stube, in der er mit Arnilukka gesessen hatte, als sie noch ein Kind war. Damals hatte sie hier auf der Eckbank gehockt, und er hatte ihr seine lustigen Lieder vorgespielt, damit sie den Schrecken vergaß, den ihr die beiden Wölfe eingejagt hatten. Diesmal war sie hier die Hausherrin, brachte Brot, Käse und ein Stück durchwachsenen Rauchspeck, stellte für jeden einen Becher auf den Tisch und zuletzt noch einen Krug Wein. Dann erst setzte sie sich zu ihnen und forderte sie auf zuzugreifen. »Sei mein Gast, Lauscher!« sagte sie, »und auch du, Schneefink, der so schön flöten kann! Laßt es euch schmecken!«
    Auch Arnilukka achtete noch auf die alten Sitten. Lauscher erinnerte sich an den Traum aus der Zeit seiner Versteinerung, in dem er zu Gast bei Urla gewesen war. Sie hatte die gleichen Worte gesprochen wie jetzt Arnilukka, und so wurde natürlich auch, wie es sich gehört, während des Essens keine Sache von Belang erörtert. Urla spielte während der Mahlzeit ihr Mäusespiel weiter und wurde nicht müde, immer neue Geschichten zu erfinden, in denen ihre Eltern als Mäuse auftraten. »Auch füttern hätte ich euch müssen«, sagte sie. »Ihr hättet ja gar nicht auf den Tisch hinaufgereicht«, und dann steckte sie jedem der beiden einen Bissen in den Mund. Alle spielten das Mäusespiel mit, freuten sich, daß Urla reden

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