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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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wie sie in den Zelten der Beutereiter gesungen wurde, und diese zunächst ruhige, in sich gekehrte Tonfolge steigerte ihren Rhythmus, wurde schneller und schneller, bis Lauscher die struppigen Gäule über die graue Unendlichkeit der Grasfläche preschen sah, polternde Hufe, strähnige Spuren und wegspritzende Erde, und Lauscher sah noch mehr, während der Junge immer weiterspielte: Harte, mißtönende Sprünge brachen aus der Melodie hervor, aber jedesmal ergab sich aus diesen scheinbar einander widerstrebenden Tönen ein neues harmonisches Gefüge, dessen Schönheit nur noch gesteigert wurde durch die fast unerträgliche Spannung des Beginns, und jetzt formten sich nach und nach Bilder in Lauschers Vorstellung, und er sah, wie Narzia ihn zu jenem Zwitterwesen von Faun verwandelte, um ihn zu bewahren für seine Begegnung mit Arnilukka; er sah, wie sie ihm durch die Elstern den Weg gewiesen hatte zu Stahl und Feuerstein, damit er sich im Winter am Feuer wärmen konnte, und wie sie das Wiesel und die Maus zu ihm geschickt hatte, die seine Freunde geworden waren; alle, die sie in Hunde verzaubert hatte, waren am Leben geblieben und gerettet worden beim Großen Reitersturm; selbst ihren Zauberschmuck hatte sie für ihn bereitgelegt, damit er ihr die Mittel in die Hand geben konnte, der kleinen Urla die Sprache der Menschen zu schenken. All diese Vorhaben, die so mißtönend begonnen hatten, waren ihr auf eine geheimnisvolle Weise zum Guten ausgeschlagen, das begriff er erst jetzt richtig, und er sah an Narzias Augen, daß auch sie es begriff, während sie Schneefinks Spiel lauschte, das immer wieder diese Sequenz variierte, in der die scheinbare Unordnung jeweils zum Kristallisationspunkt immer neu sich entfaltender Ordnungen wurde.
    Urla hatte Narzias vergehenden Körper in das weiche Waldgras unter den Büschen gebettet; das einzige Lebendige an der Sterbenden waren jetzt nur noch ihre Augen, die wie Smaragde in dem Totenschädel leuchteten, und während Schneefink noch immer weitere Melodien fand, blickte sie Lauscher in plötzlichem Erschrecken an und flüsterte: »Deine Angst! Ich habe sie dir noch nicht genommen. Du sollst wieder unter freiem Himmel stehen können.« Sie hob in einer letzten, mühevollen Anstrengung ihre rechte Hand, an der noch immer der Falkenring funkelte, und murmelte stockend: »Sei ein …« Dann sank ihre Hand zurück, und das, was von ihrem Körper noch übrig war, zerfiel in wenigen Augenblicken zu grauem Staub, in dem nichts weiter zurückblieb als die Kette und der Ring.
    Erst jetzt setzte Schneefink seine Flöte ab. Eine Zeitlang stand er noch mit hängenden Armen, als lausche er den letzten Tönen nach, und dann sagte er gleichsam entschuldigend: »Du hattest mich hierher mitgenommen, weil vielleicht ein Flöter gebraucht werden könnte.«
    »Ja«, sagte Lauscher, »und ich selbst hätte diese Aufgabe nicht annähernd so gut lösen können wie du. Jetzt bin ich froh, daß ich meine Flöte als Pfand bei der Wasserfrau lassen mußte, aber dergleichen begreift man immer erst im Nachhinein.«
    »Was ich kann, habe ich von dir gelernt«, sagte Schneefink. Doch Lauscher schüttelte den Kopf. »Diese Art von Lernen bedeutet nicht viel«, sagte er. »Entscheidend ist allein, daß man begreift, wann und wozu man spielen soll, und das hast du von selbst herausgefunden. Es spielt dabei auch keine sonderliche Rolle, ob die Flöte aus Silber ist oder aus Holz.«
    »Dennoch solltest du den Zauberschmuck wieder an dich nehmen, damit du deine Flöte auslösen kannst«, sagte der Junge.
    »Vor allem deshalb, weil er mir nicht gehört, sondern Laianna«, sagte Lauscher. »Ich muß ihn ihr zurückbringen.« Als er Kette und Ring vom Boden aufhob, rieselte noch ein bißchen Staub aus den Verzierungen und wehte im Wind davon. Das übrige war schon zwischen Gras und Kräutern vergangen.
    Die kleine Urla stand währenddessen zwischen ihren Eltern und redete auf sie ein, als müsse sie jetzt gleich alles nachholen, was sie bisher versäumt hatte. »Diese Frau mit den grünen Augen«, sagte sie gerade, »muß selber verhext gewesen sein; denn so böse, wie sie erst zu sein schien, war sie dann gar nicht.«
    »Diesen Zauber hast du selbst gebrochen, als du ihr den Stein geschenkt hast«, sagte Lauscher. »Du hast im entscheidenden Augenblick das einzig Richtige getan, und ohne dich säßen wir vielleicht alle jetzt als Mäuse hier im Gras.«
    Urla lachte und sagte: »Das stelle ich mir lustig vor! Ich mag

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