Stein und Flöte
konnte wie ein Mensch und hatten viel Spaß miteinander.
Als alle satt waren und keiner mehr trotz der Nötigungen Arnilukkas etwas essen wollte, räumte sie die Speisen ab, schenkte noch einmal Wein nach und setzte sich neben Belarni auf ihren Platz.
»Ihr habt zwei Söhne, wenn ich Urla richtig verstanden habe«, sagte Lauscher. »Sie hat es erwähnt, als sie mir von ihrer Wiege erzählte.«
»Ja«, sagte Belarni. »Azzo ist jetzt zehn Jahre alt, und Arnizzo wird in diesem Monat sieben. Und das sind bei weitem nicht die einzigen Kinder im Tal von Arziak, die zu den dunklen Augen der Steppenreiter die blonden oder braunen Haare der Bergdachse haben.«
»Steppenreiter nennt ihr euch jetzt?« fragte Lauscher.
»Wenigstens jene, die noch in den Zelten draußen im Grasland aufgewachsen sind«, sagte Belarni. »In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich da jedoch schon viel verwischt. Allerdings gibt es noch immer ein paar Leute, die sich absondern und ›ihre Art rein erhalten‹ wollen, wie sie es nennen. Auf der einen Seite ist das die Zunft der Goldschmiede, deren Mitglieder sich weigern, einen Nachkömmling der Steppenreiter in ihre Häuser oder gar ihre Familien aufzunehmen. Sie haben da ein altes, fast schon vergessenes Gesetz ausgegraben, das es ihnen verbietet, einen ehemaligen Dieb oder auch nur jemanden aus seiner Verwandtschaft zu beschäftigen oder mit ihm die Ehe einzugehen. Dieses Gesetz mag früher durchaus seinen Sinn gehabt haben; denn wer ständig kostbare Gegenstände im Haus aufbewahrt, muß sich davor schützen, daß sich verdächtige Personen einschleichen können. Aber ich halte es für falsch, dieses Gesetz gegen Leute aus der Steppe anzuwenden, die nicht mehr auf Beute aus sind, sondern friedlich mit den Bergdachsen zusammenleben wollen. Ein Gesetz erfüllt seinen Sinn nicht mehr, wenn man es nur als Formel benützt, mit der man andere Absichten verfolgt.«
»Und welche Absichten, meinst du, verfolgen die Goldschmiede damit?« fragte Lauscher.
»Sie halten sich für etwas Besseres als das übrige Volk«, sagte Belarni. »Ihr Blut soll sich nicht mit dem gewöhnlicher Beutereiter vermischen, wie sie sich ausdrücken. Ja, du hast schon richtig gehört: Sie sind die einzigen, die uns noch bei diesem alten Namen nennen. Es gibt aber auch eine Gruppe von Familien aus den Zelten der Horde, die sich abseits hält; meist sind es die Sippen ehemaliger Anführer. Nicht einmal deren Kinder wollen sich in die Gemeinschaft einfügen. Die Jungen reiten oft zusammen übers Gebirge, um ein paar Wochen in Zelten draußen in der Steppe zu leben und Reiterübungen zu veranstalten. Vorderhand ist das mehr ein Spiel, aber mir ist zu Ohren gekommen, daß sie in irgend einem Dorf am Rand der Steppe schon ein paar Pferde gestohlen haben sollen. Die Schuldigen waren nicht zu ermitteln, aber ich mache mir Sorgen deswegen.«
Man konnte ihm ansehen, daß er sich Sorgen machte. In sein hageres Gesicht hatten sich schon tiefe Falten eingegraben, und seine Schultern waren etwas nach vorn gebeugt, als trüge er ständig eine schwere Last. Arnilukka legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte: »Vergiß nicht, daß dies nur wenige Leute sind im Vergleich zu den vielen, die zufrieden und fröhlich miteinander in Arziak leben. Es war ein Glück, Lauscher, daß du uns Döli geschickt hast. Überall im Tal kann man jetzt Musik hören, und nichts macht die Leute schneller miteinander vertraut, als wenn sie zusammen tanzen und singen. Das hat uns in den ersten Jahren nach dem Großen Reitersturm gefehlt.«
»Deine Mutter muß damals eine schwere Aufgabe gehabt haben«, sagte Lauscher.
»Ja«, sagte Arnilukka. »Wie stark das an ihren Kräften gezehrt hat, haben wir erst gemerkt, als sie so plötzlich starb. Aber alle Leute im Dorf hatten große Achtung vor ihr. Außerdem war sie für die Bergdachse Promezzos Witwe, und sie selbst stammte ja als Urlas Großenkelin aus einer alten Goldschmiedesippe; die Steppenreiter sahen in ihr eine Nichte ihres alten Khan, und für jene, die sich nicht daran gewöhnen konnten, sich einer Frau unterzuordnen, war ja von Anfang an Belarni da, der bei seinen Leuten noch immer als Khan gilt. Unsere Heirat war dann ein Zeichen dafür, daß die Vereinigung der beiden Völker endgültig ist. Die wenigen Leute, von denen Belarni gesprochen hat, werden das eines Tages auch begreifen.«
»Ich will es hoffen«, sagte Belarni, »aber ihr Eigensinn macht mich dennoch unruhig. Als ich in der Stube mit
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