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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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durch das Schlupfloch in der Großen Felswand werde ich mein Pferd wohl kaum hindurchzwängen können.«
    So ritten sie diesmal von der Ahornquelle aus weiter nach Osten hinauf in die Berge und führten ihre Pferde hinauf zu dem Joch, auf dem früher einmal der Zirbel gestanden hatte, als er noch ein Baum gewesen war. Beim Aufstieg über den nur von Krüppelholz bewachsenen Hang überkam Lauscher zwar dieses beklemmende Angstgefühl, und er wäre am liebsten wieder unter den wippenden Latschenzweigen hinaufgekrochen. Da er jedoch sein Pferd am Zügel halten mußte, blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter aufrecht unter dem blauen Himmel zu gehen, und die Nähe des warmen, lebendigen Tieres, das hie und da seine Hand beschnoberte, half ihm, die Last des Himmels zu ertragen.
    Da es schon Abend wurde, blieben sie in der Höhle, in die Lauscher damals vor dem Unwetter geflüchtet war. Als sie gegessen hatten, erzählte Lauscher dem Jungen diese Geschichte, nahm dabei seinen Stock zur Hand und sagte: »Nun sind wir wieder an der Stelle, von der aus wir zusammen losgezogen sind, Zirbel. Das ist nun bald 23 Jahre her.«
    »Was sind schon 23 Jahre«, sagte der Zirbel. »Es hat sich hier ja auch kaum etwas verändert. Meine Kinder sind ein bißchen gewachsen und haben ein paar neue Kinder in die Welt gesetzt, das ist schon alles. Aber es ist schön, sie wieder einmal zu sehen.«
    Vom Joch her, das noch unter dem rötlichen Schein der Abendsonne lag, wehte der süße, harzige Duft der Zirben herein und füllte mehr und mehr die Höhle.
    »Gut riecht das hier!« sagte Schneefink. »Wie zu Hause.«
    »Wenn dem Jungen dieser Geruch so gefällt«, sagte der Zirbel, »kann er sich ja ein Stück von mir suchen. Ich schenke es ihm gern. Es muß dort draußen noch genug von dem angesengten Holz herumliegen. Zirbel gibt’s zwar immer nur einen, wenn eine solche Verwandlung vorgenommen wird, aber so ein Stück harziges Holz ist auch nicht zu verachten. Es wird ihn durch seinen Duft noch an diesen Tag erinnern, wenn er längst ein alter Mann geworden ist.«
    Da ging Lauscher noch einmal mit dem Jungen hinaus zu dem Platz, an dem damals der Blitz niedergefahren war, und dort stocherte Schneefink ein handliches Stück verklumptes Wurzelholz aus dem von schwarzer Asche durchsetzten Boden. In der Höhle schabte Lauscher dann mit seinem Messer die verkohlte Kruste ab und legte ein Gebilde frei, das ein kleiner Bruder des Zirbel hätte sein können. Sogar ein braunviolett glänzendes Auge tat sich zwischen den gewundenen Holzfasern auf und betrachtete gelassen den Jungen, dem diese Gabe zugedacht war. Schließlich rieb Lauscher das Ergebnis seiner Bemühungen an seiner Hose blank und legte es Schneefink in die Hand. »Den gibt dir mein Zirbel mit auf den Weg«, sagte er. »Wenn du allein bist, wird sein Duft dich trösten.«
    Der Zirbel beäugte zufrieden das verknäulte Gebilde und sagte: »Es sieht ja fast so aus, als hätte ich doch noch einen Zwilling bekommen.«
    Am folgenden Tag führten sie ihre Pferde auf der äußeren Seite des Jochs hinab in die Wälder, ritten weiter, bis sie das nördliche Ende der Großen Felswand erreichten, und nun brauchten sie sich nur noch in ihrem Schatten zu halten. Am Nachmittag des dritten Tages hörten sie den Wasserfall rauschen, und wenig später, als sie um einen Vorsprung der Felswand bogen, sahen sie die ständig bewegte Oberfläche des Sees in der Sonne flimmern. Unter einer Weide banden sie ihre Pferde an, und dann holte Lauscher den Falkenschmuck aus der Tasche und trat ans Ufer. »Laianna!« rief er. »Laianna, ich bin gekommen, um dir Kette und Ring zurückzubringen!«
    Dann warf er beides in weitem Schwung in den See.
    Er sah, wie das blitzende Geschmeide durch die kabbelige Fläche tauchte und sah es in die Tiefe sinken, bis es im dunkelgrünen Grund verschwamm. Gleich darauf begann das Wasser in der Mitte des Sees zu kochen, und in einem Schwall von sprühendem Schaum tauchte Laianna empor und hielt die silberne Flöte in der Hand. »Da bist du ja schon wieder, Lauscher!« rief sie. »Ist es dir so schnell gelungen, Narzia zu überlisten?«
    »Nein«, sagte Lauscher. »Es war das Kind selbst, das ihre Verzauberung gelöst hat.«
    Da lachte die Wasserfrau, daß das Wasser rings um sie aufsprühte, und sagte: »Was nützt dir schon all deine Klugheit gegen einen solchen Zauber, du haariges Mannsbild! Ein kleines Mädchen hat da mehr Kraft als du. Willst du mir noch etwas vorspielen, ehe

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