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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Lauscher und wunderte sich, wie wenig überzeugt das herauskam; aber er sagte sich, daß dies wohl an seiner persönlichen Einstellung zu dem Schloßherrn von Barleboog liegen müsse. Belarni schien jedenfalls aus dieser Antwort keine solchen Vorbehalte herauszuhören und schickte noch am gleichen Tag einen Boten über die Berge, der den beschwerlichen Weg in großer Eile hinter sich gebracht haben mußte; denn er kehrte schon nach einer Woche mit der Nachricht zurück, daß Barlo vor wenigen Tagen gestorben sei. Das ganze Tal befinde sich in tiefster Trauer, sagte er, und er habe mit erwachsenen Männern gesprochen, denen die hellen Tränen über die Wangen gelaufen seien, als hätten sie eben ihren eigenen Vater verloren.
    Für Lauscher wurde diese Neuigkeit zum Anlaß, sich aufs neue über sich selber zu wundern, weil er neben der ehrlichen Betrübnis über den Tod seines alten Dienstherren und Reisegefährten auch so etwas wie Erleichterung verspürte, und diese Erleichterung hatte ihren Grund nicht so sehr darin, daß er auf diese Weise der Gefahr entgangen war, sich wieder einmal als Barlos Junge fühlen zu müssen, sondern daß ihm im Verlauf dieser Woche immer stärkere Zweifel gekommen waren, ob es dem würdigen Gerichtsherrn von Barleboog gelingen könne, den ehernen Maßstab seines Rechtsempfindens an einen solchen Fall von erschreckender Unordnung auf eine sinnvolle und das Wesentliche treffende Weise anzulegen. Wie dem auch immer sein mochte, Barlos Flöte war verstummt, und ein anderer Richter mußte gefunden werden.
    »Wenn der alte Wazzek noch am Leben wäre«, sagte Lauscher zu Belarni, »dann hätte ich dir zu diesem weisen Karpfenkopf geraten. Der wußte wie kein zweiter Bescheid über Dinge wie Schuld. Aber es gibt jemanden, von dem ich weiß, daß er viel von ihm gelernt hat. Ich würde den Pferdemeister Ruzzo bitten, diesen Fall zu entscheiden. Er war auf keine Art an den Vorgängen beteiligt und ist zudem ein Mann, der keine Vorurteile hat gegenüber beiden Parteien.«
    So kam es, daß Ruzzo aus dem Flachtal herüberritt, um in Arziak Gericht zu halten. Die Verhandlung war öffentlich und fand am Morgen nach Ruzzos Ankunft auf dem Platz vor dem Haus der Erzmeisterin statt und damit an jener Stelle, die zugleich der Ort der Tat gewesen war. Als vorgeladen galten alle, die damals auf irgendeine Weise an den Ereignissen beteiligt oder doch wenigstens deren Zeuge gewesen waren, aber es zeigte sich, daß die gesamte Bevölkerung sich auf dem Platz versammelte, mit Ausnahme der unmündigen Kinder und einiger Kranker, die zu schwach waren, um sich an den Gerichtsort zu schleppen.
    Ruzzo setzte sich auf den Richterstuhl, den Belarni hatte hinaustragen lassen, und rief jene mit Namen auf, die er in dieser Sache zur Verfügung haben wollte. Dabei zeigte sich, daß sich auch an diesem Tage die Parteiungen deutlich voneinander schieden. Rechts von Ruzzo sah Lauscher die Goldschmiedezunft beieinanderstehen, während sich links die Reiterjunker samt ihren Familien versammelt hatten, unter ihnen auch Döli. Allerdings stellte sich jetzt auch heraus, wie stark diese beiden Gruppen im Vergleich zu dem übrigen Volk von Arziak, das sich in der Mitte drängte, in der Minderzahl waren. Das mochte allerdings auch daran liegen, daß einige der Reiterjunker wie auch der Goldschmiedesöhne heute auf ihre prächtige Ausstaffierung verzichtet hatten, als könnten sie dadurch der Gefahr entgehen, auf irgendeine Weise für die Bluttat zur Verantwortung gezogen zu werden. Auch Azzo und Arnizzo, die als Hauptbeteiligte unmittelbar vor dem Richter standen, ließen durch ihre Kleidung nicht mehr eine Zugehörigkeit zu einer der beiden Gruppen erkennen, doch sie hatten dafür ganz sicher andere Gründe. Lauscher war im Schatten des Türstocks geblieben, um sich nicht der Beängstigung des freien Platzes auszusetzen, und beobachtete von dort aus, wie Ruzzo die Verhandlung eröffnete.
    »Du hast den Dolch geworfen, Azzo«, sagte der Pferdemeister. »Was hast du dir dabei gedacht?«
    »Ich muß verrückt gewesen sein«, sagte Azzo. »Daß Urla durch meine Schuld zu Tode gekommen ist, werde ich mein Leben lang nicht vergessen können, obwohl ich sie gar nicht treffen wollte.«
    »Wen wolltest du denn treffen?« fragte Ruzzo.
    Azzo wurde noch um einiges blasser, als er ohnehin schon war, sagte dann aber mit fester Stimme: »Meinen Bruder Arnizzo.«
    »Du hast also den Bruder gemeint und die Schwester getroffen«, sagte Ruzzo.

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