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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Zuschauer blieben eher teilnahmslos unter ihren Türen stehen und waren wohl der Meinung, daß sich kleine Leute heraushalten sollten, wenn sich die Großen in die Haare geraten. Nur der Schmied folgte, wenn auch in langsamerem Schritt, seiner Frau, und es sah so aus, als hielte er den schweren, langstieligen Hammer, der an seiner Seite pendelte, nicht von ungefähr in der Faust. Doch ehe Belarni etwas ausrichten konnte und Urla noch ganz herangekommen war, rief Arnizzo: »Spiel, Döli! Spiel! Ich weiß noch eine Strophe.« Er baute sich breitbeinig vor seinem Bruder auf, der etwa ein Dutzend Schritte von ihm entfernt stand, und sang mit schriller, fast überschlagender Stimme:
    Wem schleicht ein Steppensohn ums Haus?
        Dem Goldwanst!
    Wer gibt ihm seinen Schatz nicht raus?
        Der Goldwanst!
    Wer läßt den Reiter nicht ins Bett,
    wo er so gern geschlafen hätt?
        Der Goldwanst, der Goldwanst!
        Lach nur, was du kannst!
    Während die Junker diesen letzten Refrain vor Vergnügen schon eher brüllten als sangen, blickte Lauscher dem älteren Sohn Belarnis ins Gesicht, das auf einen Schlag weiß geworden war bis in die Lippen, und was er dort sonst noch sah, ließ ihn augenblicklich seine Haltung als Zuschauer vergessen. Er stieß sich von der Fensterbank ab, durchquerte mit raschen Schritten das Zimmer und war schon fast ins Laufen geraten, bis er den Vorraum hinter sich gebracht hatte und die Haustür erreichte, die weit offen stand und den Blick auf eine Szene freigab, deren Anblick ihn wie gelähmt am Türpfosten stehenbleiben ließ. Alles, was jetzt nahezu gleichzeitig geschah, schien mit unglaublicher Langsamkeit abzurollen und war doch nicht mehr aufzuhalten. Urla hatte nun die Ansammlung erreicht und lief mit fliegenden Röcken zwischen den Fronten auf Arnizzo zu, dessen Spottgesang sie wohl schon hatte verstehen können. Belarni war noch eingekeilt zwischen den wie in den Boden gerammt stehenden Goldschmieden und versuchte vergeblich, zu Azzo zu gelangen, während dieser schon seinen Dolch aus der Scheide gerissen hatte und die aufblitzende Waffe, ehe ihm jemand in den Arm fallen konnte, auf seinen Bruder schleuderte. In diesem Augenblick stand Urla endlich vor Arnizzo und packte ihn mit beiden Händen an den Schultern, wie um ihn zur Vernunft zurückzurütteln, doch da fuhr ihr auch schon Azzos Dolch bis ans Heft in den Rücken. Ihre Hände krampften sich zusammen, dann glitt sie langsam von der Brust ihres Bruders zu Boden und war wohl schon ohne Bewußtsein, als nun auch ihr Mann die Szene betrat, im freien Raum zwischen den Parteien stehenblieb und dieses Bild betrachtete, ohne noch recht zu verstehen, was geschehen war.
    Für eine Weile standen alle wie erstarrt. Dann beugte sich Arnizzo zu seiner Schwestern hinab. Auch er schien noch nicht zu begreifen, was dieses funkelnde Ding zwischen ihren Schultern bedeuten mochte, und tastete nach dem rubinbesetzten Griff, doch in diesem Augenblick brüllte der Schmied auf, schwang seinen Hammer hoch in die Luft und sprang auf den vermeintlichen Mörder seiner Frau zu. Jetzt endlich kam auch wieder Bewegung in die übrigen Zeugen dieser Bluttat. Gleich mehrere von beiden Parteien umringten den wild um sich schlagenden Mann, entwanden ihm den Hammer und redeten auf ihn ein. Auch Lauscher konnte endlich seine Glieder wieder rühren, und diesmal trieb ihn eine Angst hinaus auf den schattenlosen Platz, die stärker war als jener beklemmende Druck, der sich aus dem freien Himmel auf ihn herabsenkte. Er rannte hinüber zu seiner am Boden liegenden Tochter und erreichte sie zugleich mit Belarni und Arnilukka, die hinter ihm aus dem Haus gelaufen war. Sie war es, die schließlich den Dolch packte und mit einem Ruck aus der Wunde zog. Dann setzte sie sich in den Staub des Platzes und bettete Urla auf ihren Schoß.
    Urla hatte die Augen geschlossen, und ihr Gesicht war so von allem Blut entleert, daß Lauscher schon meinte, es sei kein Leben mehr in seiner Tochter. Aber dann schlug sie doch noch einmal die Augen auf, deren schwer zu beschreibende Farbe in dem kalkweißen Gesicht mit doppelter Kraft zu leuchten schien. Sie schaute alle, die bei ihr standen, der Reihe nach an, und als ihr Blick auf Arnizzo traf, sagte sie stockend: »Wo ist Azzo?«
    Belarni verstand sofort und winkte seinen älteren Sohn mit einer befehlenden Geste herbei, der sich Azzo ohne Zögern fügte. Als er neben seinem Bruder vor der Sterbenden stand, schaute diese die beiden

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