Stein und Flöte
als Junge drei Jahre lang umhergezogen bin, sitzt noch immer als Richter des ganzen Tals auf seinem Schloß, und unter seinem Regiment geht dort alles seinen wohlgeordneten Gang. Ich glaube, es gibt in ganz Barleboog keinen Menschen, der sich nicht bei allem, was er beginnt, zugleich auch die Frage stellt: Was wird Barlo dazu sagen? Du darfst nicht meinen, er sei ein Tyrann, der die Leute unterdrückt. Im Gegenteil: Er ist ein durch und durch gerechter Mann, dessen weise Entscheidungen einem die Leute talauf und talab auswendig hersagen können. Überall herrschen Friede und Eintracht, und wer sich auch nur anschickt, aus dieser Ordnung auszubrechen, ist sich von Anfang an bewußt, daß er sich alsbald vor diesem Richter wird verantworten müssen. Und dennoch war mir die ganze Zeit über, die ich dort verbracht habe, so zumute, als könne ich nicht frei atmen. Ständig hatte ich das Gefühl, der große Barlo blicke mir über die Schultern und schaue zu, ob ich mich auch ordentlich benehme, und dies war für einen alten Herumtreiber wie mich schließlich so unerträglich, daß ich mich ziemlich bald wieder auf den Rückweg gemacht habe. Seither habe ich mich immer wieder gefragt, was mich eigentlich so gestört hat, und in den vergangenen Tagen ist es mir allmählich klar geworden: Die Menschen leben dort allesamt wie Barlos Kinder. Sie verlassen sich darauf, daß er schon wissen wird, was recht und was unrecht sei, und so kommen sie erst gar nicht in die Versuchung, eine Entscheidung aus eigener Verantwortung fällen zu müssen. Dafür ist Barlo zuständig. Auf solche Weise herrscht dort jene friedliche Ordnung, die du dir erträumst, aber nun frage ich dich: Ist das die richtige Art, wie Menschen leben sollten?«
»Meinen Traum durchzusetzen«, sagte Belami, »würde also, wenn ich dich richtig verstehe, zugleich bedeuten, alle anderen zur Unmündigkeit zu verurteilen?«
»Nicht unbedingt«, sagte Lauscher. »Nur in dem Falle, wenn du es dem einzelnen unmöglich machst, sich aus eigener Überzeugung für diesen Traum zu entscheiden.«
»Das heißt aber«, sagte Belarni, »mein Traum wird sich nie vollkommen verwirklichen lassen. Du hast ja selbst gesagt, daß Menschen immer wieder der Versuchung ihrer Machtgier erliegen werden.«
»Darin liegt ja gerade das Geheimnis«, sagte Lauscher. »Wäre das Böse nicht in dieser Welt, wäre jedem Menschen die Freiheit genommen, sich aus eigenem Antrieb für das Gute zu entscheiden. Auf solche Weise ist das Böse stets auch der Diener des Guten. Du kannst die Welt nicht auf einen Schlag ändern. Zunächst geht es immer um den einzelnen Menschen. Das hat dir doch auch Arni damals gesagt, ehe er getötet wurde.«
Belarni blickte überrascht auf. »Woher weißt du das? Als er das gesagt hat, ritten wir allein hinter den anderen.«
»Während meiner Versteinerung habe ich neben anderen Ereignissen auch die Geschichte von Arnis Tod erlebt«, sagte Lauscher. »Auch er hat diesen Kampf nicht verhindern können, in dem es noch mehr Tote gegeben hat, aber dein Leben hat er gerettet.«
»Nicht nur das«, sagte Belarni. »Damals meinte ich auch, den Traum endlich begriffen zu haben, den er geträumt hat. Aber jetzt merke ich, daß ich noch immer weit davon entfernt gewesen bin. Urla hat wohl besser als ich gewußt, worauf es ankommt, und so sind jetzt wenigstens meine beiden Söhne wieder wie Brüder zueinander. Dennoch wird eine Gerichtsverhandlung über Urlas gewaltsamen Tod geführt werden müssen.«
Lauscher blickte Belarni erschrocken an und rief: »Du kannst doch nicht über deine eigenen Söhne zu Gericht sitzen!«
»Nein«, sagte Belarni, »das kann ich wirklich nicht, und es ist schwierig, überhaupt einen geeigneten Mann dafür zu finden; denn allzu vielen wird man Parteilichkeit vorwerfen können. Der Älteste der Goldschmiede kommt nicht in Betracht, weil Azzo auf der Seite von dessen Zunftgenossen stand, als er den Dolch warf; einer aus den alten Familien der Steppenreiter kann ebensowenig der Richter sein, weil der Anschlag Arnizzo und damit einem der Reiterjunker galt, und auch der Meister der Eisenschmiede wird befangen sein, denn mit Urla wurde die Frau eines seiner Zunftgenossen getötet. Kannst du mir sagen, wer in dieser Sache Recht sprechen soll? Ich habe schon daran gedacht, ob ich nicht Barlo bitten kann, diesen Fall zu übernehmen. Du hast ja selbst erzählt, was für ein fabelhafter Richter er sein soll.«
»Ich wüßte keinen erfahreneren«, sagte
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