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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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du bist alt genug, um zu wissen, wo der Spaß aufhört. Du hast selbst zugegeben, wie sehr du deinen Bruder gereizt hast, und so wäre es dir selber zuzuschreiben gewesen, wenn dich sein Dolch getroffen hätte. Das heißt aber auch, daß dich ein Teil der Schuld am Tod deiner Schwester trifft, die an deiner Stelle gestorben ist. Dein Anteil an der Schuld, Azzo, wird dadurch jedoch nur um Weniges geringer, zumal du der ältere von euch beiden bist. Statt dich mit diesen bunten Goldvögeln einzulassen, hättest du besser deinen Vater darin unterstützt, den Frieden in Arziak zu erhalten. Du aber hast als einziger von allen zur Waffe gegriffen, und wenn dies auch im Zorn geschehen ist, so geschah es doch in der Absicht, deinen Bruder zu töten. Daß du dabei versehentlich deine Schwester umgebracht hast, mag für dich selbst Strafe genug sein, aber ein Totschlag dieser Art muß auch nach dem geltenden Recht geahndet werden. Ich verbanne dich also, wie es der Brauch ist, für die Dauer von drei Jahren aus Arziak und allen anderen Gemeinden des Tals. Dein Vater soll dir ein Pferd geben dürfen und Vorräte für sieben Tage, damit du den Bereich von Arziak verlassen und dich in einer entlegenen Gegend als Knecht verdingen kannst. Dich, Arnizzo, sollte eigentlich die gleiche Strafe treffen, aber ich will deine Eltern nicht völlig ihrer Kinder berauben. Deshalb erlege ich dir auf, daß du künftig jene Aufgabe übernimmst, in deren Dienst deine Schwester den Tod gefunden hat: Du sollst dafür Sorge tragen, daß der Friede in Arziak nicht mehr gebrochen wird. Du weißt jetzt besser als jeder andere, wozu solche Streitigkeiten führen können. Auch scheint es mir an der Zeit, daß du dich endlich des Mannes erinnerst, nach dem du benannt bist. Bisher hast du Arnis Namen jedenfalls wenig Ehre eingebracht. Nehmt ihr dieses Urteil an?«
    Nachdem die Brüder diese Frage bejaht hatten, schloß Ruzzo die Gerichtsverhandlung und erhob sich von seinem Stuhl. Während die Leute noch beieinander stehenblieben, um dieses Ereignis zu besprechen, sammelte Döli seine ihm noch verbliebenen Anhänger um sich und begann eines seiner aufsässigen Lieder zu spielen. Nichts hat er begriffen, dieser Flöter, dachte Lauscher, als er hörte, wie sein ehemaliger Schüler mit diesem frechen Lied Gericht und Urteil verspottete. Vielleicht gerade deshalb, weil er selbst ihm das Flöten beigebracht hatte, packte ihn ein unmäßiger Zorn über diesen schon etwas ältlichen Burschen, der sich so viel auf seine Kunst einbildete, und in dieser Aufwallung meinte er plötzlich den Sinn von Ruzzos Worten zu verstehen, daß ein anderer diesem Spottvogel schon die richtigen Flötentöne beibringen werde. Er riß seine Flöte aus der Tasche und begann mit einer eigenen Melodie gegen Dölis Spottlied anzuspielen, als solle hier ein musikalischer Wettstreit ausgetragen werden.
    Döli war so verblüfft, daß er aus dem Takt kam. Dergleichen schien ihm hier noch nie widerfahren zu sein. Er warf einen giftigen Blick herüber und setzte dann aufs neue mit seinem unverschämten Lied ein, diesmal noch um einiges aufdringlicher, und seine Freunde sangen lauthals mit:
    Was gehn uns diese Dachse an,
    die ihre Löcher scharren?
    Wer jemals Beute frei gewann,
    lacht über solche Narren.
    Sie graben tief und schleppen schwer,
    sie schmieden goldne Ketten,
    doch kommt ein Reitersmann daher
    und kitzelt sie mit seinem Speer,
    schrein sie: Wer wird uns retten?
    Drauf könnt ihr wetten!
    Gegen das Gebrüll der Junker, mit dem sie dieses Lied herausschrien, kam Lauscher mit seiner kleinen Holzflöte nun doch nicht an, wenn es ihm auch glückte, den Gesang durch seine Gegenmelodie ein wenig ins Wanken zu bringen, doch sobald diese Strophe zu Ende gesungen war, spielte er gleich weiter und zeigte nun seine Kunst, den Inhalt seines Liedes verständlich zu machen, auch ohne daß der Text dazu gesungen wurde. In seiner Wut steigerte er sein Spiel zu solcher Lautstärke, wie er es selbst nie für möglich gehalten hätte, und seine Strophe des Liedes verstanden die Leute folgendermaßen:
    Was geht uns dieser Flöter an,
    auf den hier alle starren?
    Wer noch vernünftig denken kann,
    lacht über diesen Narren.
    Den treibt doch nur der Neid daher,
    die Gier nach goldnen Ketten!
    Sein Kopf ist hohl, sein Herz ist leer,
    doch fett sein Bauch, sein Hintern schwer
    und geil nach fremden Betten!
    Drauf könnt ihr wetten!
    Er hätte sich nicht träumen lassen, wie diese Verse bei den Leuten

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