Stein und Flöte
gebannt an seiner Flöte hängen und seine Lieder singen. Du träumst dir noch immer etwas zusammen, das es nicht gibt. Jeder Mensch versucht auf seine Art, Macht über andere zu gewinnen, der eine mit dem Schwert, der andere mit Gold und du mit deiner Flöte. Wo liegt da der Unterschied? Du betrügst dich doch nur selbst, wenn du das Freundschaft oder gar Liebe nennst, daß diese dreckigen Bälger deine Lieder nachplärren.«
»Morgen wird einer kommen, der anders spielt als ich«, sagte Lauscher, »und ich werde zum Wettkampf gegen ihn antreten müssen.«
»Willst du, daß er gewinnt, dieser Döli?« fragte der Graue.
»Nein«, sagte Lauscher.
»Siehst du!« sagte der Graue. »So gefällst du mir schon besser. Im Grunde weißt du doch ganz genau, wie du mit diesem Lustigen Flöter fertig werden kannst. Nicht einmal ausgelernt hat er bei dir! Willst du dich als Meister von einem unfertigen Schüler übertrumpfen lassen? Du kannst ihn in Grund und Boden spielen, wenn du dich endlich dafür entscheidest, deine Flöte auf die einzig richtige Art zu benutzen. Verlaß dich drauf!«
Damit verblaßte das Gesicht des Grauen. Lauscher meinte noch eine Zeitlang, dessen vagen Umriß zu erkennen, doch dann merkte er, daß er auf eine in den Deckenbalken geschnitzte Fratze starrte, die sich in der steigenden Morgendämmerung immer deutlicher abzeichnete.
Er fühlte sich übernächtigt und zerschlagen, als er nach dem Frühstück unter die Tür trat und auf den weiten Platz hinausblickte, auf dem sich schon Leute eingefunden hatten, um dem Wettkampf beizuwohnen. Die Spätsommersonne stand erst einige Handbreit über den schindelgedeckten Dächern am tiefblauen Himmel und stach doch schon mit solch fiebriger Hitze herab, daß Lauscher der Gedanke durch den Kopf schoß: Heute abend gibt es ein Gewitter. Einstweilen zeigten sich jedoch noch keine Wolken, wenn auch die Schwalben recht tief zwischen den weißgekalkten Häusermauern dahinpfeilten.
Inzwischen füllte sich der Platz immer mehr, Männer und Frauen standen in Gruppen zusammen und besprachen die Aussichten der beiden Flöter, die hier gegeneinander antreten sollten, und dazwischen trieben sich die Kinder herum, liefen einander nach oder tanzten Ringelreihen zu einem von Lauschers Liedern, als wollten sie ihn in die rechte Stimmung zu diesem Wettstreit versetzen. Doch eine solch wohlgemute Stimmung wollte sich bei ihm nicht einstellen. Waren diese kleinen Gestalten dort unten, fragte er sich, wirklich nur willenlose Figuren, die er mit seinen Melodien zum Tanzen gebracht hatte?
Er fand keine Zeit, dieser Frage länger nachzuhängen, denn nun kam Döli mit seinen buntbezopften Freunden auf den Platz geritten. Es waren alles in allem etwa ein Dutzend Junker, die auf ihren nervös tänzelnden Rossen vor den Zuschauern paradierten, ehe sie aus dem Sattel stiegen und ihre Pferde an einen Zaun banden. Dann ging Döli mit leicht wippenden Schritten in die Mitte des Platzes, wendete sich seinem Widerpart zu und rief: »Ich habe diesen Flöter namens Lauscher zum Wettkampf herausgefordert, damit sich endlich herausstellt, wer hier in Arziak das Recht haben soll, zu flöten wo und wann er will. Ihr alle, die ihr hier versammelt seid, sollt die Kampfrichter sein, und am Ende soll jener von uns beiden gewonnen haben, dem es gelungen ist, die meisten Zuhörer um sich zu versammeln. Bist du bereit, Lauscher?«
Lauscher hatte sich wie gewohnt auf den Stufen niedergelassen, und neben ihm unter dem Vordach stand Arnilukka, während Belarni und Arnizzo ein Stück von ihnen entfernt an der Hausmauer lehnten. Auf Dölis Frage hin stand Lauscher langsam auf und sagte: »Mir ist es recht, wenn wir endlich anfangen. Heute wird ein heißer Tag werden.«
»Darauf kannst du dich verlassen!« sagte Döli, der diese Äußerung wohl nicht nur auf das Wetter bezogen hatte. »Ich habe dich herausgefordert, also kommt dir das Recht zu, als erster zu spielen.«
Lauscher blickte hinüber zu Arnilukka und tauchte noch einmal ein in das geheimnisvolle Kraftfeld ihrer Augen, und während er sich schon wieder völlig eingesponnen fühlte von den farbenschimmernden Wellenkreisen aus Blau, Grün und Violett, setzte er seine Flöte an die Lippen und spielte das Lied von Schön Agla. Er setzte ein mit der schlichten Melodie, die ihm das Fischermädchen damals vorgesungen hatte, doch schon von der zweiten Strophe an begann er von dieser Tonfolge abzuweichen, so wie es ihm das Bild eingab, das immer
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