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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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flötete vor sich hin. Nach allem, was sie von ihm nach der Gerichtsverhandlung zu hören bekommen hatten, waren die Leute zunächst zusammengelaufen, sobald er sich mit seiner Flöte zeigte, und hatten wohl ein neues Spektakel erwartet, doch viele wendeten sich bald enttäuscht ab, unter ihnen auch ein paar aus der Goldschmiedezunft, die gemeint hatten, daß es Döli nun wieder ans Leder gehen würde. Es waren ganz gewöhnliche Lieder, die Lauscher spielte, einfache Melodien, die er bei Berghirten gehört hatte oder von Fischermädchen an einem See, traurige und auch fröhliche Melodien, obwohl ihm selbst gar nicht so fröhlich zumute war. Doch mit der Zeit fand er selbst wieder Spaß daran, zumal wenn Arnilukka unter die Tür trat und ihm zuhörte. »Jetzt spielst du wieder wie damals, als du zum erstenmal hier bei uns im Hause warst«, sagte sie. »Ich dachte schon, du hättest all deine alten Lieder vergessen.«
    »Es ist so viel Schreckliches geschehen seither«, sagte Lauscher. »Wie hätte ich da dergleichen Liedchen spielen sollen?«
    »Dazu bist du ein Flöter«, sagte Arnilukka. »Wenn andere Leute in Gefahr geraten, die Hoffnung zu verlieren, mußt du ihnen in Erinnerung rufen, wie schön das Leben trotz allem ist.«
    Er blickte zu ihr auf und sah, wie ihre schwer zu beschreibenden Augen noch immer dunkel waren vor Trauer um ihre Tochter, und doch oder vielleicht gerade deshalb erschienen sie ihm so schön und voller Leben, und das Herz wurde ihm warm vor Freude, daß diese Frau neben ihm stand und so zu ihm sprach. Es klang wie eine Bestätigung seiner Gedanken, als Arnilukka sagte: »Ja, Lauscher, du solltest so spielen, auch wenn unser Kind jetzt tot ist. Spiel für mich das Lied von Schön Agla, die gelacht hat, als der Grüne sie zu sich in den See hinabziehen wollte.«
    Er spielte es für sie und spielte es auch in den nächsten Tagen immer wieder und noch viele andere Lieder, die ihm jetzt wieder einfielen. Ein Kreis von Zuhörern war ihm geblieben, ja er vergrößerte sich mehr und mehr: Das waren die Kinder. Sobald der Ton seiner Flöte über den Platz klang, sammelten sie sich um ihn, einige setzten sich auch neben ihn auf die Stufen und fragten ihn nach dieser oder jener Melodie, die sie von ihm schon einmal gehört hatten. Mit der Zeit brachte er ihnen auch die Texte dazu bei, und bald konnte man überall in Arziak hören, wie die Kinder Lauschers Lieder sangen. Hie und da kam es jetzt sogar vor, daß auch ein paar erwachsene Leute bei ihm stehenblieben und ihm zuhörten, und einmal sagte einer: »So hat hier schon lange keiner mehr gespielt, seit der Lustige Flöter sich zu den Reiterjunkern geschlagen hat.«
    So kam es, daß Lauschers Musik in ganz Arziak erklang, ohne daß er sich auch nur einen Schritt von der Schwelle des Hauses entfernte. Die meisten Leute hatten nichts dagegen einzuwenden, nur Döli wurde wütend, sobald er irgendein Kind eines dieser Lieder singen hörte. Er fuhr dann mit schrillen Flötentönen dazwischen, doch da er nicht ständig und vor allem nicht überall zugleich auf seiner Flöte blasen konnte, wurde er dieses Ansturms von Lauschers Musik nicht Herr, und das machte ihn noch wütender.
    Eines Tages, als Lauscher wieder einmal inmitten eines Kreises von Kindern auf der Schwelle saß und ihnen eben ein neues Lied vorblies, kam Döli mit seinen Freunden auf den Platz geritten und veranstaltete ein derart wüstes Konzert, daß Lauscher seine Flöte absetzte und sagte: »Kannst du nicht woanders hinreiten, wenn du schon eine so scheußliche Musik machen mußt? Bei mir hast du das jedenfalls nicht gelernt, was du da pfeifst. Oder stört es dich, wenn wir hier unsere Lieder singen?«
    »Ja«, sagte Döli, »dieser Kinderkram stört mich ganz gewaltig. Nirgends kann man mehr hingehen, ohne daß einem dieses Gedudel die Ohren beleidigt. Sogar nachts, wenn man schlafen will, quäkt noch irgendwo eine Kinderstimme diesen Singsang.«
    »Ich mache meine Musik, und du machst deine Musik«, sagte Lauscher. »Was ist daran so Besonderes? Auf dem Markt von Draglop kannst du ein halbes Dutzend Spielleute hören, ohne daß sie einander ins Gehege kommen. Es wird hier doch noch Raum für zwei Flöter geben.«
    »Nein«, sagte Döli. »Hier ist nur Raum für einen, und der war bisher ich. Deshalb habe ich auch das Recht, dich zu einem Wettkampf herauszufordern. Man wird schon sehen, wer der bessere ist, und der andere soll dann den Platz räumen.«
    »Und wann soll dieses fabelhafte

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