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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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Frühjahrsmarkt in Draglop in der Silbernen Harfe.«
    Barlo und Lauscher trieben sich noch eine Zeitlang im Gebirge herum, und als die Nächte anfingen kühler zu werden, ritten sie wieder bergab durch die Wälder. Am Rande des Flachlandes blieben die Bäume zurück und gaben den Blick auf einen großen See frei, an dem der Weg entlang führte. Das grünblaue Wasser war so klar, daß man die Fische über dem steinigen Grund stehen sehen konnte. Die silbern schimmernde Wasserfläche dehnte sich fast bis zum fernen Horizont aus, wo sie von niedrigen Hügeln gesäumt war. Vor den Reitern tauchten am Ufer die riedgedeckten Dächer eines Dorfes auf, und weiter draußen sahen sie ein paar Fischerkähne bewegungslos auf dem Wasser liegen. Barlo wies auf die Häuser und gab Lauscher zu verstehen, daß er hier über Nacht bleiben wollte.
    Am Dorfeingang bog Barlo vom Weg ab, und Lauscher folgte ihm auf seinem Esel hinüber zum Seeufer. Auf hölzernen Pfosten war hier ein Landungssteg in den See hineingebaut, an dem ein paar Kähne festgemacht lagen. Barlo und Lauscher stiegen ab, ließen ihre Tiere trinken, setzten sich auf den Bohlensteg und ließen ihre Beine über dem unbewegten Wasser baumeln. Im Schatten unter den Laufplanken wimmelten winzige Jungfische. Draußen auf dem See sprang hie und da ein Fisch und hinterließ an der Oberfläche einen Kreis, der sich langsam ausbreitete und mit anderen Kreisen überschnitt. Einmal strich vom Flachland her ein Zug Enten vor dem blassen Abendhimmel heran, glitt niedrig über den See und fiel dann in der Nähe der Fischerkähne ein.
    Barlo zog seine Flöte heraus und fing an zu spielen, ein Lied, das nach Wasser klang und in dem man das Schilf rauschen hörte. Nach einer Weile spürte Lauscher das Tapsen bloßer Füße auf den Planken, und als er sich umdrehte, sah er ein paar Kinder, die vom Dorf herübergekommen waren, um dem Flöter zuzuhören. Sie blieben verlegen stehen, als Lauscher ihnen zunickte, kamen dann aber langsam näher, magisch angezogen von Barlos Flötenlied.
    Nach einer Weile beendete Barlo sein Lied mit einem langen Triller, der wie das Plätschern von Wellen klang, setzte seine Flöte ab und lachte die Kinder an.
    »Du kannst schön spielen«, sagte ein Mädchen.
    Barlo machte eine wegwerfende Handbewegung, als sei das nichts Besonderes und zeigte auf eine Panflöte, die einer der Jungen in der Hand hielt. Sie bestand aus sieben unterschiedlich langen Rohrhalmen, die mit Binsen zusammengebunden waren.
    »Du bist ja auch ein Flöter«, sagte Lauscher. »Willst du uns nicht etwas spielen?«
    »Ich kann nur einfache Lieder, wie sie bei uns gesungen werden«, sagte der Junge.
    Barlo forderte ihn mit einer einladenden Handbewegung auf, an seiner Seite Platz zu nehmen. Da zierte sich der Junge nicht länger, setzte sich auf die Planken und fing an zu spielen. Die einfache Melodie, die er aus seinem Instrument hervorzauberte, nahm Lauscher sofort gefangen. Sie klang traurig und fröhlich zugleich und schien eine Geschichte zu erzählen. Nach der ersten Strophe begann das Mädchen, das sie angesprochen hatte, den Text zu singen:
    Ein Mädchen ging zum See
    jedes Jahr
    ein Mädchen ging zum See
    mit Wangen weiß wie Schnee
    Der Grüne kam vom Grund
    jedes Jahr
    der Grüne kam vom Grund
    und küßt sie auf den Mund
    Das Mädchen weinte sehr
    jedes Jahr
    das Mädchen weinte sehr
    und kam dann nimmermehr
    Schön Agla ging zum See
    dieses Jahr
    Schön Agla ging zum See
    in Kleidern weiß wie Schnee
    Der Grüne kam vom Grund
    dieses Jahr
    der Grüne kam vom Grund
    sie küßt’ ihn auf den Mund
    Schön Agla hat gelacht
    dieses Jahr
    Schön Agla hat gelacht
    da sang er durch die Nacht.
    »Was ist das für ein Lied?« fragte Lauscher, als das Mädchen zu Ende gesungen hatte. »Das habe ich noch nie gehört.«
    »Bei uns kennt das jeder«, sagte die Sängerin. »Es wird von den Mädchen gesungen.«
    »Und wer ist dieser Grüne?« fragte Lauscher.
    »Das ist eine lange Geschichte«, sagte das Mädchen abweisend. »Ich kann sie nicht erzählen.«
    Inzwischen hatten die Fischer draußen auf dem See ihre Netze eingezogen und ruderten zur Anlegestelle. Als sie bei dem Steg angekommen waren, machten sie ihre Kähne fest und stiegen aus. Ein älterer Mann mit breitem grauen Schaufelbart begrüßte die Fremden.
    »Wir haben schon gehört, daß ein Flöter angekommen ist«, sagte er. »In unsere Gegend geraten selten fahrende Spielleute. Wir würden uns freuen, wenn ihr länger

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