Stein und Flöte
Ferne. Als es hell geworden war, gingen die Fischer hinaus zu Jeloschs Haus, klopften an und sagten, er solle vor die Türe kommen. Nach einiger Zeit trat Jelosch heraus und fragte, was sie wollten.
»Hast du heute Nacht nicht den Sturm gehört?« fragte einer.
»Das bißchen Wind hat mich nicht gestört«, sagte Jelosch. »Ich habe mich auf die andere Seite gedreht und weitergeschlafen.«
»Dann hast du wohl auch nicht den grünen Fischmann schreien gehört?« fragte ein anderer.
»Was für einen Fischmann?« fragte Jelosch und wurde blaß.
»Den, der die ganze Nacht hindurch nach deiner toten Frau gerufen hat«, sagte ein dritter. »Du mußt uns jetzt sagen, wo du Aglaia gefunden hast, damit wir wissen, was es mit dieser Sache auf sich hat.«
Jelosch weigerte sich zunächst, über die Herkunft Aglaias zu sprechen, doch als sie ihn schließlich bedrohten und einer sagte, sie würden Aglaias Kind ins Wasser werfen, wenn Jelosch weiter schweige, gab dieser nach und erzählte ihnen, wie er zu seiner Frau gekommen war.
Er sei damals, sagte er, drüben im Schilfgürtel am anderen Ufer auf eine kleine Insel gestoßen, die man vom See aus nicht sehen konnte. Dort sei er aus dem Kahn gestiegen, um nach Enteneiern zu suchen. Er habe auch einen ganzen Korb voll aufgesammelt, sich dann auf den sandigen Boden gesetzt und ein bißchen vor sich her gesungen. Während er noch gesungen habe, sei am Rand der Insel ein Mädchen aus dem Wasser emporgetaucht und habe ihm zugehört. »Du singst schön«, habe sie gesagt, und er habe sie aufgefordert, zu ihm auf die Insel zu kommen. Da sei sie, nackt wie sie war, aus dem Wasser gestiegen, habe sich zu ihm gesetzt und ihn gebeten, weiterzusingen. Während des Singens habe er ihr in die Augen geschaut und an nichts anderes mehr denken können, als daß er dieses Mädchen für sich gewinnen müsse. Als sein Lied zu Ende war, habe er das Mädchen gefragt, ob sie mit ihm in seinem Haus leben wolle. »Wirst du dann immer für mich singen?« habe sie gefragt, und als er ihr das zugesichert habe, sei sie ohne Zögern mit ihm in seinen Kahn gestiegen. Das übrige wüßten sie ja, sagte Jelosch noch, ließ die Fischer einfach stehen und ging zurück in sein Haus.
Nun war es den Männern klar, daß Aglaia eine Wasserfrau gewesen war. »Es ist mir schon damals, als er sie mitbrachte, so vorgekommen, als habe sie Schwimmhäute zwischen den Zehen«, sagte einer. »Später hat sie ja immer Schuhe getragen, so daß man ihre Füße nicht sehen konnte.« Wäre Aglaia noch am Leben gewesen, hätten die Fischer sie vielleicht mit Gewalt aus dem Haus geholt und in den See geworfen. Nun aber war sie schon tot und begraben, und bei Tag erschien ihnen dann der nächtliche Aufruhr schon nicht mehr so bedeutsam, als daß man sich weiter darum kümmern müsse.
In diesem Jahr fiel ihnen jedoch bald auf, daß ihr Fang immer spärlicher wurde. Es war, als verschwänden die Fische nach und nach aus dem See oder hielten sich von den Stellen fern, an denen die Fischer ihre Netze auswarfen. Die Vorräte an getrocknetem und geräuchertem Fisch reichten bei weitem nicht aus, und gegen Ende des Winters fingen die Leute an, Wasserkraut unter dem Eis hervorzukratzen und Wurzeln aus dem Boden zu hacken, um ihren Hunger zu stillen.
Auch als schließlich das Eis schmolz und der Frühling kam, wollte die Fischerei nicht recht in Gang kommen, und das blieb so bis zu dem Tag, an dem im Jahr zuvor der Grüne geschrieen hatte. Die Fischer hatten sich schon Gedanken gemacht, ob nicht er es war, der die Fische von ihren Netzen und Reusen fernhielt, und hatten beschlossen, daß der Dorfälteste mit ihm reden solle, falls der Grüne wieder auftauchte.
Die Männer waren diesmal nicht überrascht, als in der Nacht wieder ein Sturm aufkam. Sie sammelten sich am Strand, und nach einiger Zeit hörten sie wieder das Heulen und Schreien des Grünen. »Aglaia!« hallte es über das dunkle, quirlende Wasser. »Aglaia!« Und dann brach wieder das gewaltige Haupt des Wassermannes durch die Wellen und trieb schwankend näher, bis der Grüne sich aus den Fluten hob und bis zum halben Leib sichtbar wurde. Er hatte sein triefendes Gesicht Jeloschs Haus zugewandt und schrie noch einmal: »Aglaia, Aglaia!«
»Bist du es«, rief ihn der Älteste an, »der uns die Fische von den Netzen fernhält?«
Da drehte der Grüne seinen halslosen Kopf zu ihm und starrte ihn mit seinen runden, lidlosen Augen an. Dann öffnete er seinen breiten Mund und
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