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Stein und Flöte

Stein und Flöte

Titel: Stein und Flöte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Bemmann
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genug von ihren weinenden Mädchen habe. Sie sollen reichlich Fische bekommen, so lange bei ihnen Menschen mit Aglaias lustigen braunen Augen wohnen und fröhliche Lieder singen. Leb wohl, Schön Agla. Der Grüne wird nicht vergessen, daß du ihn geküßt hast.«
    Dann warf er sich zurück in die Flut, aber er ließ sich nicht in die Tiefe sinken, sondern schwamm in den See hinaus und sang, daß seine Stimme durch die Nacht tönte wie eine Glocke. Noch lange standen die Leute am Ufer und hörten seinen Gesang, bis er fern im Schilfgürtel am anderen Ufer verklang.

    Als Lagosch zu Ende erzählt hatte, sagte sein Vater: »Jetzt wißt ihr auch, warum uns fahrende Spielleute so willkommen sind. Der Grüne liebt fröhliche Lieder über alles, und wenn wir einmal einen Sänger oder Spielmann zu Gast hatten, der sich auf seine Kunst verstand, brachte dieses Jahr einen besonders reichlichen Fang. Wenn ihr also über den Winter bei uns bleiben wollt, so sollte es uns freuen.«
    Barlo zeigte sich einverstanden, und Lauscher dankte dem Fischer für seine Gastfreundlichkeit. »Was ist eigentlich aus den anderen Mädchen geworden?« fragte er dann.
    »Das ist eine merkwürdige Sache«, sagte Lagosch. »Es wird erzählt, daß sie am Morgen nach der Nacht, in der Schön Agla den Grünen geküßt hatte, bei Sonnenaufgang aus dem See zurückgekommen sind. Keiner hat es gesehen, aber am Morgen sollen sie am Ufer gestanden haben, und ihre schwarzen Kleider waren trocken, als wären sie nie im Wasser gewesen. Das merkwürdigste aber war, daß keine von ihnen gealtert war. Sie standen am See, genauso jung wie sie hineingestoßen worden waren, und keine von ihnen konnte sich daran erinnern, was in der Zwischenzeit geschehen war.« Lagosch lachte. »In diesem Jahr soll es hier im Dorf so viele heiratsfähige Mädchen gegeben haben, daß sogar noch manchen älteren Hagestolz die Lust auf eine Ehefrau überkam.«
    Barlo und Lauscher verlebten eine geruhsame Zeit im Dorf am See. Bevor der Winter hereinbrach, fuhren sie mit den Fischern hinaus, halfen ihnen, die Netze einzubringen oder Reusen auszulegen, und oft holte Barlo seine Flöte heraus, um auf dem See zu spielen. Wenn der Grüne zugehört haben sollte, dann hatte er sicher seine Freude daran; denn Barlo konnte bald alle die Lieder flöten, die im Dorf gesungen wurden, und das waren nicht wenige.
    An einem warmen Spätherbsttag kamen sie auch auf Aglaias Insel, wie der kleine Sandrücken im Schilf genannt wurde, auf dem Jelosch seine Frau gefunden hatte. Barlo und Lauscher waren allein herübergerudert. Sie stiegen im flachen Wasser aus, zogen ihren Kahn aufs Ufer und setzten sich in den sonnenwarmen Sand. Eine Zeitlang sahen sie den Enten zu, die in gewinkelter Reihe über den See herangeflogen kamen und dicht bei ihnen niedergingen. Die Enten paddelten um die raschelnden Schilfhalme, reckten gründelnd ihren Steiß hoch und quarrten leise. Mitten unter den Erpeln mit ihren blauschimmernden Spiegeln und den braunen Weibchen schwamm eine weiße Ente. Vielleicht war sie einem Bauer davongeflogen und zog nun das Leben in der Freiheit einer Zukunft in der Bratpfanne vor. Vielleicht aber war sie auch ein verzaubertes Wesen, dachte sich Lauscher. Hier auf dieser im Schilf verborgenen, von Wasser umspülten Insel schien ihm alles möglich zu sein.
    Barlo nahm seine Flöte aus der Tasche und spielte das Lied von Schön Agla, ausgeziert mit all den Trillern und Läufen, die diese versponnene Wasserwelt ihm eingab. Jede Strophe brachte neue, überraschende Wendungen. Den letzten Ton ließ er lange ausklingen wie einen Ruf, der auf Antwort wartet.
    Und die Antwort kam. Kaum hatte er sein Instrument von den Lippen genommen, hörten sie seitwärts im Schilf ein jähes Aufrauschen, ein runder Gegenstand blitzte in der Sonne auf, flog im Bogen zu ihnen herüber und rollte vor ihren Füßen in den Sand. Es war eine große, schön gewundene Schnecke, wie man sie hierzulande nirgends finden konnte. Lauscher hatte früher einmal von einer solchen Schnecke erzählen hören und erkannte sofort, was das war. »Ein Tritonshorn!« sagte er überrascht.
    Und kaum hatte er das ausgesprochen, hörten sie im Schilf ein Glucksen wie von unterdrücktem Gelächter. »Dann weißt du ja schon, was das ist«, rief eine Mädchenstimme. »Das schickt unser grüner Herr dem Flöter zum Dank für das schöne Lied. Wenn er Hilfe aus dem Wasser braucht, dann soll er auf dem Schneckenhorn blasen. Aufs Blasen versteht er sich

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