Stein und Flöte
als Lauscher nickte, fing Dagelor plötzlich an zu lachen, schlug sich auf die Schenkel und lachte so lange und ausgiebig, als müsse er all das Gelächter auf einmal nachholen, das er versäumt hatte, seit im Dorf jede Freude erstorben war. Schließlich faßte er sich und fragte Lauscher: »Wie lange bist du schon bei deinem Herrn?«
»Etwa drei Jahre«, sagte Lauscher, der inzwischen ins Grübeln gekommen war, was er hier für einen großartigen Witz gemacht haben sollte.
»Und weißt noch immer nicht, wer dein Herr ist?« rief Dagelor und lachte schon wieder. »Hast du ihm nichts über dich gesagt, Barlo?« fragte er dann. »Nicht einmal mit deiner Flöte?«
Barlo schüttelte lächelnd den Kopf und nickte dann, als Dagelor ihn fragte, ob er Lauschers Neugier befriedigen dürfe. »Dann hör gut zu, Lauscher«, sagte Dagelor und erzählte
Die Geschichte vom alten Barlo
und seinem Sohn Fredebar
Als ich ein junger Mann war, habe ich ihn oft durchs Dorf reiten sehen. Manchmal hielt er sein Pferd vor unserem Haus an, stieg ab und gab mir die Zügel, während mein Vater aus der Tür trat und ihn begrüßte. Mein Vater machte keine tiefe Verbeugung oder dergleichen, denn der alte Barlo konnte das nicht leiden. Mein Vater schüttelte ihm nur die Hand und führte ihn dann ins Haus. Dort saßen die beiden auf der Eckbank am Tisch, tranken einen Krug Wein und sprachen über dies und das, etwa ob das Jahr eine gute Ernte verspreche oder auch über irgendwelche Rechtsstreitigkeiten. Mein Vater war hier, wie heute ich, Dorfältester und hatte mit solchen Dingen zu tun, und der alte Barlo kannte sich in Rechtssachen aus wie kein anderer, denn er war Herr und Richter auf Schloß Barleboog.
Nicht daß du meinst, er sei ein solcher Zwingherr gewesen wie heute Gisa, die alles als ihren Besitz betrachtet, sogar die Menschen. Damals waren die Leute im Tal frei und konnten tun und lassen, was sie wollten, solange sie in Frieden mit ihren Nachbarn lebten. Barlo hörte jeden an, der meinte, daß ihm Unrecht geschehen sei, und er merkte sehr schnell, wenn ihn einer hinters Licht führen wollte. Bald hatte keiner mehr die Stirn, so etwas auch nur zu versuchen. Damals wurde noch Recht gesprochen auf Barleboog, nicht so wie heute, wo Gisa irgendeinen hergelaufenen Wicht Urteile verkünden läßt, wie man hört.
Er war noch lange kein alter Mann, als die Leute anfingen, Geschichten von ihm zu erzählen, etwa jene von dem Bauern, der zu Barlo kam und seinen Nachbarn anklagte, er habe ihm Land gestohlen, indem er jedes Jahr beim Pflügen die Grenzen seiner Felder ein Stück weiter vorrückte. Barlo lud beide Männer zum Essen ein und unterhielt sich mit ihnen. »Wie steht es mit deiner Wirtschaft?« fragte er den Kläger. »Recht gut, bis auf das Land, um das dieser hier mich gebracht hat«, sagte der Mann. »Meine Kühe geben mehr Milch als die jedes anderen Bauern im Dorf. Mir gehört jetzt auch die Weide oben am Waldrand, und seither habe ich die Zahl meiner Schafe verdoppeln können.«
»Seit wann besitzt du diese Weide?« fragte Barlo.
»Mein Sohn hat sie mir vor zwei Jahren durch seine Heirat eingebracht«, sagte der Kläger. »Und nicht nur die, sondern auch noch ein paar Joch Ackerland und dreißig Rinder, die jetzt mir gehören. Ja, ich weiß meinen Besitz zu mehren, aber ich weiß ihn auch zu wahren, wenn man ihn mir nehmen will.«
»Das sehe ich«, sagte Barlo, und dann fragte er auch den Beklagten, wie es bei ihm stünde.
»Ich bin zufrieden«, sagte dieser. »Die Ernte war so reich, daß ich dem Mann meiner Tochter davon abgeben konnte, als der Hagel seine Felder zerschlagen hatte.«
»Man erzählt, bei dir sei es im Winter recht lustig zugegangen«, sagte Barlo.
»Ach ja«, sagte der Beklagte verlegen. »Als der erste Schnee fiel, schneiten mir auch ein paar Spielleute ins Haus, die ich während der kalten Zeit durchgefüttert habe. Zum Dank haben sie an den langen Abenden ein bißchen Musik gemacht, und so kamen dann auch ein paar Nachbarn ins Haus, um sich das anzuhören.«
»Hast du sie bewirtet?« fragte Barlo.
»Man kann doch die Leute nicht ohne einen Becher Most und einen Zubiß herumsitzen lassen«, sagte der Mann. »Ein bißchen Gastfreundschaft hat noch keinen an den Bettelstab gebracht.«
Inzwischen hatten sie zu dritt gegessen, Barlo, der Kläger und der Beklagte, und nun wurde der Kläger ungeduldig und sagte: »Ich bitte dich jetzt, mir mein Recht zu verschaffen. Du hast meinen Nachbarn noch nicht
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