Stein und Flöte
erschien er den Leuten in seinem seidenen Wams und all dem goldenen Zierrat wie ein Prinz aus königlichem Geblüt. Er war ein hübscher Junge, eher schmal und zierlich, und alle mochten ihn gut leiden, denn er war immer zu Späßen aufgelegt und lachte gern.
Später, als er herangewachsen war, nahm ihn Barlo oft auf seinen Ausritten mit und ließ ihn auch bei den Rechtshändeln zuhören; denn er wollte ihn zu seinem Nachfolger erziehen. Fredebar faßte alles, was er sah und hörte, rasch auf und wußte bald so klug zu reden wie sein Vater. Aber wenn ich mir das heute überlege, dann war das wohl für ihn eine Art Spiel, bei dem es weniger auf den Inhalt ankommt, als darauf, den Zuhörern zu zeigen, daß man die Regeln beherrscht. Ich weiß nicht, ob sein Vater das schon damals durchschaut hat; vielleicht hat er auch gemeint, es genüge fürs erste, diese Regeln zu lernen, und später werde sich schon die rechte Ernsthaftigkeit einstellen. Jedenfalls pflegte er lächelnd zuzuhören, wenn Fredebar auf seine Frage hin zu einem Rechtsfall Stellung nahm, und lobte wohl auch hin und wieder die Eleganz seiner Gedankenführung.
Nun geschah es, daß Barlo Botschaft erhielt von einem Freund namens Kratos, der oben im Gebirge das Richteramt versah. Er habe da, ließ ihm Kratos sagen, einen schwierigen Rechtsfall, den er ihm gern vorlegen würde. Barlo ließ am nächsten Tag im Morgengrauen sein Pferd satteln und nahm auch Fredebar mit auf den Weg. Sie ritten den ganzen Tag und kamen am Abend zu dem Bergdorf, in dem Kratos sein Haus hatte. Der Richter trat ihnen in der Tür entgegen, ließ ihre Pferde von einem Knecht versorgen und führte die Besucher in die Stube. »Seid meine Gäste«, sagte er. »Nach dem langen Weg werdet ihr hungrig sein. Reden können wir später.«
Er bot ihnen Plätze an, und gleich darauf kam ein Mädchen zur Tür herein, deckte den Tisch und brachte Brot, geräucherten Schinkenspeck und einen Krug Rotwein. »Das ist meine Tochter Raudis«, sagte Kratos. »Sie versorgt mir das Haus, seit meine Frau gestorben ist.« Er forderte Raudis auf, sich zu ihnen zu setzen, und so hatten die Gäste Zeit, sie in Ruhe zu betrachten. Ich denke mir jedenfalls, daß zumindest Fredebar dies ausführlich getan hat, denn Raudis war des Ansehens wert. Sie trug ihr langes dunkelblondes Haar zu einem dicken Zopf geflochten, und in ihrem schmalen Gesicht fielen zuerst die großen, dunkelbraunen Augen auf, mit denen sie einen aufmerksam anschaute, wenn man mit ihr sprach.
Als die Gäste satt waren, sagte Kratos zu Barlo: »Ich habe die Beteiligten an dem Rechtsfall, um dessentwillen ich deinen Rat erbeten habe, für morgen in mein Haus geladen. Aber ich möchte dir die Sache gern heute abend schon vortragen, wenn du nicht zu müde bist.« Barlo forderte ihn auf zu sprechen und setzte hinzu: »Ich hätte dich ohnehin gebeten, mich schon jetzt mit der Lage der Dinge bekannt zu machen. Da du dich mit mir beraten willst, scheint es sich um einen schwierigen Fall zu handeln, und eine solche Entscheidung sollte man immer noch einmal überschlafen.« Währenddessen hatte Raudis den Tisch abgeräumt; nur den Weinkrug und die Becher ließ sie stehen und setzte sich dann wieder zu den anderen.
»Es handelt sich um einen Mord«, begann Kratos, »und die erste Schwierigkeit besteht darin, daß es keine Zeugen gibt. Der Getötete hieß Wargos und war ein Bergbauer mit beträchtlichem Viehbestand. Seine Knechte fanden ihn morgens tot auf seiner Viehweide, und es besteht kein Zweifel daran, daß man ihn mit einem Messer erstochen hat.«
»Gibt es jemanden, auf den ein Verdacht fällt?« fragte Barlo.
»Ja, den gibt es«, sagte Kratos, »und genau das macht die Sache für mich so schwierig. Dieser Verdächtige, den ich in Gewahrsam nehmen mußte, ist mein Sohn Terlos. Er warb um die Hand von Wargos’ Tochter Warja, hatte damit jedoch bisher bei dem Vater wenig Glück; denn ich habe hier zwar das Richteramt, aber in Wargos’ Augen war ich ein armer Mann.«
»Ist das der einzige Grund, warum man deinen Sohn verdächtigt?« fragte Barlo.
»Nein«, sagte Kratos. »Wargos’ Großknecht gibt an, er habe gehört, wie mein Sohn für den Abend vor der Tat mit Wargos ein Zusammentreffen auf dessen Viehweide verabredet habe. Er könne überdies einen weiteren Zeugen dafür bringen. Sein Herr sei dann bei Einbruch der Dunkelheit aus dem Haus gegangen, und seither habe ihn keiner mehr lebend gesehen.«
»Hast du deinen Sohn dazu befragt?«
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