Stein und Flöte
wollte Barlo wissen.
»Ja«, sagte Kratos, »und er gibt zu, diese Verabredung getroffen zu haben. Den Grund dafür will er jedoch erst bei der Verhandlung nennen. Er versichert jedenfalls, daß Wargos gesund und am Leben war, als er sich von ihm trennte. Aber auch dafür gibt es natürlich keine Zeugen.«
»Ich verstehe, daß du in dieser Sache, die auch deinen Sohn betrifft, nicht selbst entscheiden kannst«, sagte Barlo. »Aber ich wüßte dennoch gern, ob du deinem Sohn glaubst und ob du einen anderen Verdacht hegst.«
»Das sind zwei Fragen auf einmal«, sagte Kratos, »und ich will versuchen, beide zu beantworten. Zum ersten: Ja, ich glaube meinem Sohn; denn ich kenne ihn seit seiner Geburt. Es wäre vorstellbar, daß er im Zorn einen Mann erschlägt, aber er würde ihn nicht von hinten erstechen, wie es Wargos geschehen ist. Du magst vielleicht meinen, daß diese Äußerung von meiner Vaterliebe bestimmt sei. Deshalb nenne ich dir auch einen vernünftigen Grund, ihm zu glauben: Ich weiß, daß er Warja liebt und alles daransetzen würde, sie zur Frau zu gewinnen. Ich weiß zudem, daß Warja seine Werbung gern sieht. Was immer ihm Wargos angetan haben mochte: Er erblickte in ihm den Vater seiner Liebsten und mußte wissen, daß er mit diesem Mord zugleich sein Glück zerstören würde, gleichviel, ob er als Täter überführt würde oder nicht. Sag selbst: wie hätte er Warja je noch in die Augen schauen können?«
»Das klingt vernünftig«, sagte Barlo, »auch wenn selbst hier noch der Vater aus dir spricht. Und wie steht es mit dem Verdacht?«
»Dies ist ein Verdacht, den ich als Richter nur schwer aussprechen könnte, da er wiederum die Angelegenheiten meines Sohnes berührt. Ich nenne ihn dir also nur als einem Freund meines Hauses. Es ist so, daß Terlos einen Rivalen in seiner Werbung um Warja hat, und das ist eben jener Großknecht, der Zeuge dieser Verabredung war. Diesem Mann bringt also sein Zeugnis zugleich einen persönlichen Vorteil, und solche Zeugen sind mir immer verdächtig. Wargos hielt viel von diesem Mann; manche im Dorf meinen allerdings, er habe ihm zuviel vertraut, aber das sind Redereien, auf die ein Richter nichts geben sollte. Du wirst jedoch verstehen, daß ich mir trotz allem Gedanken mache.«
»Das verstehe ich gut, denn auch ich habe einen Sohn«, sagte Barlo. »Deswegen wird es auch mir nicht leichtfallen, mich von Gefühlen freizuhalten, zumal du mein Freund bist. Erlaubst du, daß ich meinen Sohn Fredebar frage, was er von der Sache hält?«
»Ich würde selbst gern hören, was er über diesen Fall zu sagen hat«, sagte Kratos. »Man erzählt von ihm, daß er sehr scharfsinnig sei und gut zu reden verstünde.«
Barlo nickte Fredebar zu, der sich eine Weile bedachte und dann sagte: »Es scheint mir notwendig, bei diesem Mordverdacht die erwiesenen Tatsachen von den Vermutungen und Meinungen sorgfältig zu trennen. Denn wenn es um Vermutungen und Meinungen geht, ist man nur zu leicht geneigt, das zu glauben, was man glauben möchte. Als erwiesen kann gelten, daß Terlos diese Verabredung mit Wargos getroffen hatte und daß dieses Zusammentreffen auch stattgefunden hat. Ferner liegt es auf der Hand, daß Terlos allen Grund hatte, zornig auf Wargos zu sein; denn es scheint ja allgemein bekannt zu sein, wie er zu Warja stand und was ihr Vater von dieser Werbung hielt. Alles, was Kratos darüber hinaus gesagt hat, läßt sich aus der Liebe zu seinem Sohn erklären und wird vor Gericht wenig gelten.«
Fredebar hatte mit dem Eifer dessen gesprochen, dem eine Aufgabe gestellt worden ist, an deren Lösung er seine Fähigkeiten unter Beweis stellen soll. Jetzt legte ihm Barlo seine Hand auf den Arm, um ihm zu verstehen zu geben, daß er im Begriff sei, zu weit zu gehen. Kratos schüttelte jedoch den Kopf und sagte: »Laß ihn nur reden. Er hat ja recht und spricht nur aus, was ich mir selbst nicht eingestehen wollte. Was wolltest du weiter sagen, Fredebar?«
»Es wird viel darauf ankommen, was Terlos über den Grund der Verabredung zu berichten hat«, sagte Fredebar. »Aber er wird beweisen müssen, was er sagt, sonst steht es schlecht um ihn.« Raudis hatte ihm gespannt zugehört, und je länger er sprach, desto zorniger blickten ihre dunklen Augen. Jetzt konnte sie sich nicht länger zurückhalten und sagte: »Du sprichst von meinem Bruder wie von einer fremden Sache, die dich nichts angeht, Fredebar!«
»Raudis!« unterbrach sie ihr Vater. »Du solltest dich hier wirklich
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