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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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keine Stöhner, keine Hüpfer, keine Sänger; wir brauchten nur Arbeiter, Bauern, Maschinisten, Ingenieure, Baumeister. Aber wie konnten wir ihnen einen Platz, in der Arche verweigern? Es war ihr Glück, daß sie auf uns stießen, gerade als wir die letzten Vorbereitungen für unseren Flug trafen. Der Alptraum, der unseren Schlaf seit drei Jahrhunderten heimsuchte, war wahrgemacht worden: die Heimat lag in Flammen, unsere Armeen waren aus dem Hinterhalt vernichtet worden, die Philister schritten mit langen Messern durch unsere verwüsteten Städte. Unser Schiff stand bereit, zu den Sternen zu springen. Wir waren keine Feiglinge, nur Realisten, denn es war Torheit, sich einzubilden, wir könnten weiterkämpfen; und wenn irgendein Bruchteil unserer alten Nation überleben sollte, dann nur fern von dieser bitteren Welt der Erde. Wir gedachten also zu fliegen; und hier kamen Bittsteller, die uns um Hilfe baten, Reb Shmuel und seine dreißig Anhänger. Wie konnten wir sie zurückweisen, in dem Wissen, daß sie ganz gewiß untergehen würden? Sie waren menschliche Wesen, sie waren Juden. Trotz all unserer Bedenken ließen wir sie an Bord.
    Und dann wanderten wir Jahr um Jahr durch den Himmel, und dann erreichten wir einen Stern, der keinen Namen hatte, nur eine Nummer, und dann fanden wir, daß sein vierter Planet schön und furchtbar war, eine glücklichere Welt als die Erde, und wir dankten dem Gott, an den wir nicht glaubten, für das Glück, das er uns geschenkt hatte, und wir riefen einander Glückwünsche zu: Mazel-tov! Mazel-tov! Viel Glück, viel Glück, viel Glück! Und jemand blickte in ein altes Buch und sah, daß mazel einstmals eine astrologische Bedeutung gehabt, daß in den Tagen der Bibel es nicht nur ›Glück‹ bedeutet, sondern einen glücklichen Stern bedeutet hatte, und so nannten wir unseren Glücksstern Mazel Tov, und wir landeten auf Mazel Tov IV, dem Planeten, der das Neue Israel werden sollte. Hier fanden wir keine Feinde, keine Ägypter, keine Assyrer, keine Römer, keine Kosaken, keine Nazis, keine Araber, nur die Kunivaru, freundliche Wesen schlichter Art, die ernsthaft unsere pantomimisch vorgeführten Erklärungen verfolgten und dann mit Gesten erwiderten: Seid willkommen, hier gibt es mehr Land, als wir je brauchen werden. Und wir bauten unseren Kibbuz.
    Aber wir hatten nicht den Wunsch, in der Nähe jener Menschen aus der Vergangenheit zu leben, der Chassidim, und sie empfanden wenig Liebe für uns, denn sie sahen uns als Heiden, als gottlose Juden, die schlimmer waren als Nichtjuden, als Gojim, und sie bauten sich ein eigenes kleines schlammiges Dorf. Manchmal, in klaren Nächten, konnten wir ihren lauten Gesang hören, aber sonst gab es kaum Kontakte zwischen ihnen und uns.
    Ich konnte Rabbi Shlomos feindselige Reaktion auf den Gedanken einer Intervention durch den Baal Schem verstehen. Die Chassidim standen für die mystische Seite des Judaismus, die dunkle, unbeherrschbare dionysische Seite, das Skelett im Schrank des Stammes; Shlomo Feig mochte belustigt oder angeregt sein von einem Exorzismus, den bepelzte Zentauren vollführten, aber wenn Juden an derselben Art von Übernatürlichkeit teilnahmen, verabscheute er das. Dazu kam die häßliche Tatsache, daß der vernünftige, rationale Rabbi Shlomo praktisch überhaupt keine Anhänger unter den vernünftigen, rationalen, säkularisierten Juden unseres Kibbuz hatte, während Reb Shmuels Chassidim ihn mit Ehrfurcht betrachteten, ihn als einen Wunderwirkenden sahen, als Seher, als Heiligen. Trotzdem, Rabbi Shlomos verständliche Eifersucht und seine Vorurteile beiseite, Joseph Avneri hatte recht: Dybuks waren Dämpfe aus dem Reich des Phantastischen, und das Phantastische war das Reich des Baal Schem.
    Er war eine unfaßbar hochgewachsene, kantige Gestalt, fast wie ein Skelett, mit spitzen Backenknochen, weichem, dicht gekräuseltem Bart und sanften, verträumten Augen. Ich nehme an, daß er um die Fünfzig war, obwohl ich es auch geglaubt hätte, wenn man sein Alter mit Dreißig oder Siebzig oder Neunzig angegeben hätte. Sein Sinn für Dramatik war unfehlbar; nun – es war später Nachmittag – stellte er sich vor der herabsinkenden Sonne auf, so daß sein langer Schatten uns alle erfaßte, und breitete die Arme aus.
    »Wir haben Berichte über einen Dybuk unter euch gehört«, sagte er.
    »Es gibt keinen Dybuk!« gab Rabbi Shlomo erbost zurück.
    Der Baal Schem lächelte.
    »Aber gibt es einen Kunivar, der mit einer Israeli-Stimme

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