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Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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spricht?«
    »Es hat eine seltsame Verwandlung gegeben, ja«, räumte Rabbi Shlomo ein. »Aber in diesem Zeitalter, auf diesem Planeten, kann niemand Dybuks ernst nehmen.«
    »Das heißt, du kannst Dybuks nicht ernst nehmen«, sagte der Baal Schem.
    »Aber ich!« rief Joseph Avneri verzweifelt. »Ich! Ich! Ich bin der Dybuk! Ich, Joseph Avneri, seit vergangenen Elul ein Jahr tot, wegen meiner Sünden verdammt, diesen Kunivar-Kadaver zu bewohnen. Ein Jude, Reb Shmuel, ein toter Jude, ein armseliger, sündiger, elender Jid. Wer läßt mich heraus? Wer befreit mich?«
    »Es gibt keinen Dybuk?« fragte der Baal Schem liebenswürdig.
    »Dieser Kunivar ist wahnsinnig geworden«, sagte Shlomo Feig.
    Wir husteten und traten von einem Bein aufs andere. Wenn jemand wahnsinnig geworden war, dann unser Rabbi, der auf diese Weise die Erscheinung bestritt, die er selbst als echt anerkannt hatte, wenn auch noch so widerstrebend, und das erst vor wenigen Stunden. Neid, verletzter Stolz und Starrsinn hatten sein Urteil aus dem Gleichgewicht gebracht. Joseph Avneri begann wütend das Aleph Beth Gimel zu brüllen, das Shma Yisroel, alles, was seine Dybuk-Eigenschaft beweisen mochte. Der Baal Shem wartete geduldig, die Arme ausgebreitet, ohne ein Wort zu sagen. Rabbi Shlomo stand ihm gegenüber, die kräftige, stämmige Gestalt fast zwergenhaft vor dem langbein igen Chassid, und behauptete energisch, es müsse eine vernünftige Erklärung für die Metamorphose Seuls geben.
    Als Shlomo Feig endlich schwieg, sagte der Baal Schem: »In diesem Kunivar ist ein Dybuk. Glaubst du, Rabbi Shlomo, daß die Dybuks ihre Wanderungen eingestellt haben, als die Shtetl von Polen eingeäschert wurden? Nichts geht im Angesicht Gottes verloren, Rabbi. Juden fliegen zu den Sternen; die Thora und der Talmud und der Zohar sind auch zu den Sternen gekommen; auch auf diesen fremden Welten kann es Dybuks geben. Rabbi, darf ich diesem geplagten Geist und dem erschöpften Kunivar Frieden bringen?«
    »Tu, was du willst«, murmelte Shlomo Feig angewidert und entfernte sich mit finsterer Miene.
    Reb Shmuel begann sofort mit dem Exorzismus. Er rief zuerst nach der Minian. Acht seiner Chassidim traten vor. Ich wechselte einen Blick mit Shmarja Asch, und wir zuckten die Achseln und traten ebenfalls vor, aber der Baal Schem winkte lächelnd ab und holte zwei weitere seiner Anhänger in den Kreis. Sie begannen zu singen; zu meiner immerwährenden Schande habe ich keine Ahnung, was gesungen wurde, denn die Worte waren Jiddisch galizischer Art, für mich beinahe so fremd wie die Sprache der Kunivaru. Sie sangen zehn oder fünfzehn Minuten; die Chassidim wurden lebhafter, klatschten in die Hände, umtanzten ihren Baal Schem; plötzlich ließ Reb Shmuel die Arme sinken, sie verstummten, und er begann halblaut hebräische Sätze zu rezitieren, die ich einen Augenblick später als die des Einundneunzigsten Psalms erkannte: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Der Psalm rollte melodiös bis zu seinem Ende, seinem tröstlichen Versprechen von Erhörung und Erlösung. Einen langen Augenblick blieb es ganz still. Dann befahl der Baal Schem mit einer furchterregenden Stimme, nicht laut, aber unfaßbar befehlend, dem Geist Joseph Avneris, den Körper von Seul, dem Kunivar, zu verlassen.
    »Hinaus! Hinaus! In Gottes Namen, hinaus, und fort zu deiner ewigen Ruhe!« Einer der Chassidim reichte Reb Shmuel einen Schofar. Der Baal Schem hob das Widderhorn an die Lippen und blies einen einzigen, ungeheuerlichen Ton.
    Joseph Avneri wimmerte. Der Kunivar, in dem er hauste, machte drei ungeschickte, wankende Schritte.
    »Oh, Mama, Mama«, rief Joseph. Der Kopf des Kunivar zuckte zurück; seine Arme schossen seitlich hinaus; er taumelte auf seine vier Knie. Eine Ewigkeit ging vorbei. Dann erhob sich Seul – diesmal gewandt, mit der natürlichen Grazie der Kunivaru – ging zum Baal Schem, kniete nieder und berührte den schwarzen Kaftan des Tsaddik. So wußten wir, daß es vorbei war.
    Augenblicke später löste sich die Spannung. Zwei von den Kunivaru-Priestern stürzten auf den Baal Schem zu, dann Gyaymar, dann einige der Musikanten, und schließlich schien der ganze Stamm sich um ihn zu drängen, bemüht, den Heiligen zu berühren. Die Chassidim machten besorgte Gesichter und murmelten miteinander, aber der Baal Schem, über dem sich stoßenden und schiebenden Haufen emporragend, segnete ruhig die Kunivaru und streichelte ihre dichten Rückenpelze. Nach einigen

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