Steinbock-Spiele
der Angestellte im Vorzimmer es tun, oder gar keiner; mag der ganze Distrikt verhungern. Mich geht das nichts mehr an. Ich bin festgenommen. Meine Verantwortung hat aufgehört. Ich übergebe meinen Tisch dem Unterstellvertreter und fasse, vielleicht in hundert Worten, meine mühsamen Verhandlungsstunden zusammen. All das ist jetzt das Problem eines anderen.
Der Bote führt mich aus dem Gebäude auf die heiße, muffige Straße hinaus. Der Himmel ist dunkel und regenwolkenverhangen, offenbar hat es eine Weile geregnet, denn die Abwässerkanäle sind verstopft, und schlammiges Wasser gurgelt knöchelhoch durch die Rinnsteine. Auch die Kanalisation wird von Ganfield Hold aus gesteuert, und sie scheint jetzt zu versagen. Wir eilen über den schmalen Platz vor meiner Dienststelle, gehen um einen Schlammsee herum, drängen uns in eine dichtgepackte Menge gereizter Arbeiter auf dem Heimweg. Die Uniform des Boten erzeugt eine unsichtbare Sphäre der Unberührbarkeit für uns; die Menschenmassen öffnen sich bereitwillig und schließen sich wieder hinter uns. Wortlos werde ich zum Steinfassadenbau des Distriktsvorstehers geführt, und in sein Büro. Das ist kein fremder Ort für mich, aber als Gefangener hierherzukommen, ist etwas ganz anderes, als an einer Sitzung des Distriktsrates teilzunehmen. Meine Schultern hängen herab, mein Blick ist auf den abgewetzten Bodenbelag gerichtet.
Der Distriktsvorsteher erscheint. Er ist ein Mann von sechzig Jahren mit silbernen Haaren, aufrechter Haltung, offenem, direktem Blick; seine Züge verraten wenig von der Belastung, die seine Stellung auf ihn ausüben muß. Er regiert unseren Distrikt seit zehn Jahren. Er begrüßt mich mit Namen, aber ohne Wärme, und sagt: »Von Ihrer Frau haben Sie nichts gehört?«
»Das hätte ich gemeldet.«
»Vielleicht. Vielleicht. Haben Sie irgendeine Ahnung, wo sie ist?«
»Ich kenne nur die Gerüchte«, sagte ich. »Conning Town, Morton Court, die Mill.«
»Sie ist dort nirgends.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich habe die Vorsteher dieser Distrikte befragt«, sagt er. »Sie bestreiten, etwas von ihr zu wissen. Man hat natürlich keinen Anlaß, ihnen zu vertrauen, aber warum sollten sie sich andererseits die Mühe machen, mich zu täuschen?« Sein Blick haftet auf meinem Gesicht. »Welche Rolle haben Sie beim Diebstahl des Programms gespielt?«
»Keine, Sir.«
»Sie hat nie hochverräterische Dinge mit Ihnen besprochen?« »Nie.«
»In Ganfield herrscht die Meinung vor, daß es sich um eine Verschwörung gehandelt hat.«
»Wenn das der Fall war, habe ich nichts davon gewußt.«
Er prüft mich mit einem durchdringenden Blick. Nach einer langen Pause sagt er schwerfällig: »Sie hat uns vernichtet, wissen Sie. Wir können auf der jetzigen Stufe der Ordnung, ohne das Programm, vielleicht noch sechs Wochen existieren – wenn es keine Seuche gibt, wenn wir nicht überflutet werden, wenn uns nicht Banditen von außerhalb überrennen. Danach werden die gesammelten Auswirkungen vieler kleiner Ausfälle uns lähmen. Wir werden ins Chaos stürzen. Wir werden an unseren eigenen Abfällen ersticken, verhungern, keine Luft mehr bekommen, zur Barbarei zurückkehren, bis zum Ende wie die Tiere leben – wer weiß? Ohne das Hauptprogramm sind wir verloren. Warum hat sie uns das angetan?«
»Ich habe keine Ahnung«, sage ich. »Sie behielt ihre Meinung für sich. Es war gerade ihre innere Unabhängigkeit, die mich angezogen hat.«
»Sehr wohl. Ihre innere Unabhängigkeit soll dann auch sein, was Sie jetzt zu ihr hinzieht. Suchen Sie sie und bringen Sie das Programm z urück.«
»Suchen? Wo?«
»Das müssen Sie feststellen.«
»Ich weiß von der Welt außerhalb Ganfields nichts!« »Sie werden es lernen«, sagt der Vorsteher kühl. »Es gibt Leute hier, die Sie des Hochverrats anklagen möchten. Ich halte nichts davon. Was nützt es uns, Sie zu bestrafen? Aber wir können Sie benutzen. Sie sind ein kluger und einfallsreicher Mann; Sie können durch die feindseligen Distrikte ziehen, Informationen sammeln und vielleicht sogar das Glück haben, sie zu finden, können Sie sie vielleicht dazu bewegen, das Programm herauszugeben. Niemand sonst könnte hoffen, das zu erreichen. Wir bieten Ihnen Straffreiheit im Austausch für Ihre Mitarbeit.«
Die Welt dreht sich um mich. Meine Haut brennt vor Schrekken.
»Bekomme ich sicheres Geleit durch die Nachbardistrikte?« frage ich.
»Soweit wir das vereinbaren können. Viel wird es nicht sein, fürchte ich.«
»Dann
Weitere Kostenlose Bücher