Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbock-Spiele

Steinbock-Spiele

Titel: Steinbock-Spiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
ihnen eine Abordnung geachteter Bürger schickten, um Hilfe für den Ersatz unseres verlorenen Programms zu erbitten? Würden sie sich darum kümmern? Würden sie auch nur zuhören? Gibt es denn überhaupt eine Hauptstadt? Wie kann ich, der ich nicht einmal das nahe Old Grove gesehen habe, allein auf Treu und Glauben hin das Vorhandensein eines fernen Regierungszentrums akzeptieren, distanziert, unzugänglich, in Mythen gehüllt? Vielleicht ist es nur eine Konstruktion irgendeiner listigen unterirdischen Maschine, die uns in Wahrheit regiert. Das würde mich nicht überraschen. Nichts überrascht mich. Es gibt keine Hauptstadt. Es gibt keine Zentralplaner. Hinter dem Horizont ist alles Nebel.
3
    Im Büro wagt wenigstens niemand, mir Feindseligkeit zu bezeugen. Es gibt keine finsteren Gesichter, kein böses Funkeln, keine hämischen Bemerkungen über das verschwundene Programm. Schließlich bin ich erster Stellvertreter des Distriktkommissars für Ernährung, und da der Kommissar meist nicht da ist, leite ich praktisch die Abteilung. Wenn Silenas Verbrechen meine Laufbahn nicht zerstört, könnte es sich für meine Untergebenen als unklug erweisen, mich verächtlich behandelt zu haben. Außerdem sind wir so beschäftigt, daß wir keine Zeit für solche Manöver haben. Wir sind dafür verantwortlich, daß die Gemeinschaft ordnungsgemäß verpflegt wird; unsere Aufgaben sind durch den Verlust des Programms unendlich kompliziert geworden, weil es keinen zuverlässigen Weg mehr gibt, unsere Zuteilungslisten zu bearbeiten, und wir müssen Nahrung nach Vermutungen und Gedächtnis anfordern und verteilen. Wie viele Ballen Planktonwürfel verbrauchen wir jede Woche? Wie viele Kilogramm Proteoid-Mixtur? Wie viel Brot für die Läden von Lower Ganfield? Welche Diätmoden werden den Distrikt diesen Monat heimsuchen? Wenn Angebot und Nachfrage als Ergebnis unserer Fehlberechnungen ins Ungleichgewicht geraten, könnte es weitverbreitet Gewalttaten geben, Vorstöße in Nachbardistrikte, sogar neuerliche Ausbrüche von Kannibalismus in Ganfield selbst. Wir müssen unsere Schätzungen also mit äußerster Präzision aufstellen. Was für eine schreckliche, geistige Isolierung wir verspüren, solche Dinge zu entscheiden, ohne von Computern geleitet zu werden!
4
    Am vierzehnten Tag der Krise läßt mich der Distriktsvorsteher rufen. Seine Mitteilung kommt am späten Nachmittag, als wir alle schwindlig sind vor Erschöpfung, erstickt von der Feuchtigkeit. Mehrere Stunden lang war ich mit komplizierten Verhandlungen mit einem hohen Beamten des Amtes für Meeresnahrung beschäftigt; das ist ein Arm der Zentralstadt-Regierung, und ich muß deshalb größten Takt walten lassen, damit Ganfields Planktonzuteilung nicht wegen der Verärgerung eines Bürokraten willkürlich herabgesetzt wird. Die Telefonverbindung ist schlecht – das Amt hat seine Zentrale in Melrose New Port, einen halben Kontinent entfernt, an der Südostküste –, und die Leitung wird gestört durch ein Zischen und Knistern, das unsere Computer, wenn das Hauptprogramm in Betrieb wäre, normalerweise herausfiltern würden. Gerade als wir bei der Verhandlung in eine Krise geraten, reicht mein Unterstellvertreter mir einen Zettel hin: ›Distriktsvorsteher wünscht Sie zu sprechen‹. Nicht jetzt, sage ich mit lautlosen Lippenbewegungen. Das Verhandeln geht weiter. Ein paar Minuten später kommt ein zweiter Zettel: ›Es ist dringend‹. Ich schüttle den Kopf und wische den Zettel von meinem Schreibtisch. Der Unterstellvertreter zieht sich zurück ins Vorzimmer, wo ich ihn aufgeregt mit einem Mann in der graugrünen Uniform vom Stab des Distriktsvorstehers reden sehe. Der Bote deutet mit heftigen Bewegungen auf mich. In diesem Augenblick wird die Verbindung unterbrochen. Ich werfe den Hörer hin und rufe hinaus: »Was ist los?«
    »Der Vorsteher, Sir. Bitte sofort zu seinem Büro.«
    »Unmöglich.«
    Er zeigt einen Ausweis mit dem Siegel des Vorstehers. »Er verlangt Ihr sofortiges Erscheinen.«
    »Sagen Sie ihm, daß ich delikate Geschäfte abzuschließen habe«, gebe ich zurück. »Vielleicht noch fünfzehn Minuten.«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Ich bin nicht ermächtigt, eine Verzögerung zuz ulassen.« »Ist das also eine Festnahme?«
    »Eine Ladung.«
    »Aber mit der Kraft einer Festnahme?«
    »Mit der Kraft einer Festnahme, ja«, sagt er.
    Ich zucke die Achseln und gebe nach. Alle Last fällt von mir ab.
    Mag der Unterstellvertreter sich mit dem Amt herumschlagen; mag

Weitere Kostenlose Bücher