Steinbrück - Die Biografie
neuen Ministerpräsidenten hat ihren Grund: Sechs Jahre lang musste Clement als Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf zuschauen, wie Johannes Rau durch das Land reiste, ohne die Probleme so entschlossen anzupacken, wie es seiner Meinung nach erforderlich gewesen wäre.
Aus dieser Zeit bei Rau kennen sich Clement und Steinbrück. Sie haben sich von Anfang an verstanden. Beide wohnten mit ihren Familien in Bonn und nicht an ihrem Arbeitsplatz in der Landeshauptstadt, mieteten deshalb Ende der Achtzigerjahre eine gemeinsame Wohnung unweit der Düsseldorfer Staatskanzlei an, in der sie unter der Woche übernachteten. Am Ende der langen Arbeitstage führte der Weg die beiden oft noch auf ein Bier in die benachbarte Altstadt. Was Steinbrück bis heute imponiert, ist das geringe Schlafbedürfnis von Clement. Der las nämlich selbst nach dem nächtlichen Kneipenbummel noch Akten und machte frühmorgens bereits wieder Krach, während Steinbrück noch Ruhe suchte. Auch später in Berlin blieben sie einander durch eine Wohnung verbunden: Steinbrück übernahm 2005 Clements Apartment am Tiergarten, als dieser nach der Wahl Merkels sein Amt als Bundeswirtschafts- und Arbeitsminister verlor und Steinbrück in der neu gebildeten Großen Koalition das Finanzressort erhielt.
Von Anfang an waren Steinbrück und Clement sich einig, dass gute Politik aus der sauberen Umsetzung rationaler Entscheidungen besteht. Das Emotionale bei Parteiveranstaltungen und Wahlkämpfen war und ist ihnen lästig. Sie verstehen, worum es geht, können es aber selbst nicht liefern. Das Bad in der Menge haben beide immer nach Kräften vermieden. Die Rolle des »Oma-Knutschers« liegt weder Clement noch Steinbrück. Schon früher haben sie hinter der Bühne oft gemeinsam mit den Augen gerollt, wenn Landesvater Rau auf dem Podium in seiner pastoralen Art die Zuhörer einlullte und sich wieder einmal um unangenehme Entscheidungen drückte. Dabei fiel der Strukturwandel kaum irgendwo in Westdeutschland schmerzhafter aus als in der alten Industrieregion an Rhein und Ruhr. Es dauerte Jahrzehnte, bis das Ruhrgebiet aus seiner strukturellen Abhängigkeit von Kohle und Stahl befreit werden konnte.
Das qualvolle, durch Milliardensubventionen immer wieder hinausgezögerte Dahinsiechen des Bergbaus hat den Stolz einer ganzen Generation von Kumpeln gebrochen. Das wirkt nach, auch wenn die heutige Generation nicht mehr unter Tage einfährt – inzwischen wohnen Lehrer und Softwareprogrammierer in den alten, hübsch renovierten Siedlungshäuschen der Bergarbeiter. Die Vorstellung aber, was soziale Gerechtigkeit ausmacht, haben die Kinder trotzdem von der Generation ihrer Eltern übernommen. »Nordrhein-Westfalen ist ein durch und durch sozialdemokratisches Land, ganz gleich wer hier regiert«, hat Stefan Willeke in einem sehr einfühlsamen ZEIT-Dossier über Nordrhein-Westfalen geschrieben (12.5.2005). »Wem der Ruf anhaftet, das Soziale in der Demokratie zu gefährden, der hat zwischen Rhein und Ruhr einen schweren Stand.«
Entsprechend ließ sich der notwendige Strukturwandel nicht so einfach umsetzen. Nach reinen Marktgesetzen hätte man die unrentablen Bergwerke und viele der alten Stahlhütten schließen müssen. Was allerdings nur um den Preis der sozialen Verelendung einer ganzen Region machbar gewesen wäre. Es gab deshalb über Jahrzehnte hinweg mit allen Bundesregierungen den Konsens, den Bergbau an Ruhr und Saar mit Subventionen zu unterstützen und ihn nach und nach allmählich auslaufen zu lassen. Die lange Übergangszeit sollte genutzt werden, um die Ansiedlung neuer Industrien und Dienstleistungen zu ermöglichen.
Clement und Steinbrück indes merkten rasch, dass die vereinbarten Hilfszahlungen den dringend gebotenen Veränderungsprozess letztlich lähmten. Ihnen ging der gesamte Strukturwandel nicht schnell genug voran. Egal wo sie hinkamen – sie wollten Tempo, Bewegung, Wandel. Mit dieser Grundhaltung haben die beiden in Nordrhein-Westfalen in allen ihren Ämtern Politik gemacht: als unbequeme Fragesteller und vorwärtsdrängende Macher. Bei der traditionellen NRW-SPD stießen sie damit auf Unverständnis, ja Abwehr.
In der »Herzkammer der Sozialdemokratie«, wie Herbert Wehner das Ruhrgebiet einmal genannt hat, war man andere Töne aus der Düsseldorfer Regierungszentrale gewöhnt. Ob der wortgewaltige Ministerpräsident Heinz Kühn, der gütige Sozialminister Hermann Heinemann oder der zugewandte Johannes Rau – zur Kulisse ihrer Macht gehörte
Weitere Kostenlose Bücher