Steinbrück - Die Biografie
an und auf Steinbrück wurde aus allen medialen Rohren geschossen. Der behielt die Nerven, griff allerdings tief in die politische Trickkiste. In den Zeitungen tauchten plötzlich detaillierte Berichte über die luxuriöse Unterbringung und die horrenden Gagen der Künstler auf. Auch teure Provisionen für Sponsorenwerbung und eine finanzielle Verquickung des Festivals mit dem von Frantz geleiteten Philharmonieorchester wurden thematisiert. Da Steinbrück sich stur weigerte, den neuen Intendantenvertrag zu unterschreiben, blieb Justus Frantz schließlich nur der Rücktritt im Zorn. Er inszenierte das dramatische Finale als Königsmord auf offener Bühne. Damit allerdings überzog der populäre Musiker und wurde am Ende gar als »künstlerischer Stellvertreter Leonard Bernsteins auf Erden« verspottet ( Kieler Nachrichten , 23.1.1994). Ein anderer Kommentator verglich seinen Rücktritt mit dem schnöden Rauswurf eines Fußballcoachs: Es war ein »lärmend trauriger Abgang, stil- und würdelos, wie man es bisher nur von Trainerwechseln kannte« ( Schleswig-Holsteinische Landeszeitung , 23.1.1994).
Steinbrück hingegen erhielt Beifall dafür, dass er im Interesse der Steuerzahler eingeschritten war und das »Schickimickiflair« des Intendanten nicht weiter finanzieren wollte. Ein halbes Jahr tobte der Streit, an dessen Ende Steinbrück seine erste große Schlacht als Politiker gewonnen hatte.
Die nächste Herausforderung ließ nicht lange auf sich warten. Von seinem Amtsvorgänger hatte Steinbrück das Vorhaben übernommen, einen Teil der sogenannten »Ostseeautobahn« A 20 zu bauen. Die auch »Küstenautobahn« genannte Strecke führt von Bad Segeberg im Westen über Lübeck, Rostock, Greifswald bis zum Kreuz Uckermark in Brandenburg. Obwohl von der insgesamt 280 Kilometer langen Autobahn gerade einmal 39 Kilometer durch Schleswig-Holstein gehen, entbrannte in der rot-grünen Koalition in Kiel ein heftiger Streit um das Projekt. Mit allen möglichen Tricks versuchten die Grünen, die Trassenführung zu verändern und den Bau nach Möglichkeit zu verhindern.
Der Streit fokussierte sich schließlich auf eine Region südlich von Lübeck. Der grüne Landesumweltminister Rainder Steenblock setzte alles daran, das Wakenitztal als Naturschutzgebiet auszuweisen und den Straßenbauern so ein Schnippchen zu schlagen. Es wurden Gutachten in Auftrag gegeben, Prozesse angestrengt und ungezählte Koalitionsrunden einberufen. Am Ende hatten Steenblock wie Steinbrück ihre jeweiligen Positionen zu einer Frage der eigenen politischen Glaubwürdigkeit hochstilisiert. Zwei Züge rollten aufeinander zu, und die Lokführer legten täglich Kohlen nach, um das Tempo zu erhöhen. Steinbrück ließ sich von SPD, CDU, FDP und der gesamten Wirtschaft des Landes für seinen kompromisslosen Kampf feiern, während die Grünen auf die politische Unterstützung der Naturschutzverbände und der eigenen Anhängerschaft setzten. Doch es war nicht zu übersehen, dass Steinbrück, wo immer es ging, ungerührt Fakten schuf. Schließlich beschwerten sich die Grünen bei Ministerpräsidentin Simonis. Die SPD müsse ihren Wirtschafts- und Verkehrsminister stoppen, da sonst die Koalition platze. Es sei nicht akzeptabel, dass Steinbrück den grünen Umweltminister Steenblock ständig »demütigen« und »in die Knie zwingen« wolle, um damit »jedem zu zeigen, wer in dem Bündnis den Ton angibt« ( Kieler Nachrichten , 17.1.1998).
Die Situation eskalierte. Steenblock drohte offen mit Rücktritt und ließ auf einem Parteitag der Grünen demonstrativ einen Beschluss zur A 20 in seinem Sinne herbeiführen. Obwohl die rot-grüne Koalition dicht vor dem Scheitern stand, gab Steinbrück sich gänzlich ungerührt. »Wackeln wir in dieser Frage, werden wir politisch zerfetzt«, warnte er Simonis. Ein Zurückweichen sei »nur um den Preis der Selbstverstümmelung drin«.
Schließlich rettete das Bundesverwaltungsgericht indirekt die taumelnde Koalition, als die Richter über ein 6,3 Kilometer langes Teilstück der Autobahn im Sinne Steinbrücks entschieden. Die Bagger durften endlich anrollen, und die Grünen mussten eine schmerzliche Niederlage hinnehmen. Nach außen gelang es, einigermaßen das Gesicht zu wahren, weil man das Urteil der Bundesrichter so oder so akzeptieren musste. Steinbrücks Verhältnis zu den Grünen aber war seitdem ebenso belastet wie seine Beziehung zur Ministerpräsidentin. Heide Simonis stand politisch zwar hinter der A 20, war jedoch
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