Steinbrück - Die Biografie
sie darin eine gezielte Provokation sehen. Die Krone setzt der Wirtschaftsminister dem Ganzen auf, als er sein öffentliches Vorpreschen mit den berühmt gewordenen Worten begründet, er habe einen Kontrapunkt gegen das »politische Klein-Klein auf Pepitaniveau« setzen wollen. Was Simonis gar nicht mehr anders denn als harsche Kritik an ihrer Regierungspolitik verstehen kann.
Es rauschte fortan kräftig im Blätterwald. Gerüchte über einen Abgang des »Vorzeigeministers« werden ebenso gestreut wie ein angeblicher Plan, ihn mit dem Posten des Landessparkassenpräsidenten ruhigzustellen. Steinbrück verweigert jeden Kommentar, aber er hat endgültig genug von den Politpossen in Schleswig-Holstein. Als er an einem Wochenende mit regionalen Wirtschaftsvertretern eine Klausurtagung auf Mallorca absolviert, wird er plötzlich ans Telefon gerufen. Am anderen Ende ist Wolfgang Clement, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Es soll »ziemlichen Wirbel bei euch da oben an der Küste« geben, beginnt er das Gespräch. Vielleicht habe der liebe Kollege Peer ja Lust, zurück an den Rhein zu kommen? Er könne ihm ein attraktives Angebot machen, lockt Clement. Für das bevölkerungsreichste Bundesland mit zahlreichen großen und bekannten Unternehmen sucht er kurzfristig einen neuen Minister für Wirtschaft, Energie, Technik und Verkehr. Clement bittet seinen Parteifreund darum, doch einmal darüber nachzudenken. »Ich brauche Bedenkzeit«, antwortet Steinbrück. »Wie lange?«, will der Düsseldorfer Regierungschef wissen. Steinbrücks Antwort kommt prompt: »Nur eine Sekunde.«
Kapitel 6
Ein Nordlicht an Rhein und Ruhr
W ie eine Festung überwölbt das 20 Stockwerke hohe »Stadttor« die Bundesstraße 1 in Düsseldorf. Die schiere Größe des Gebäudes zwingt die Vorbeigehenden zum Aufschauen und die Autos in den Untergrund. Bevor der tosende Verkehr dem gläsernen Hochhaus zu nahe kommt, verschwindet er in einem Tunnel.
Hierher, mitten hinein in das schicke Hafenviertel der Landeshauptstadt Düsseldorf, hat Wolfgang Clement die Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen verlegt. Das moderne Ungetüm aus Stahlbeton und Glas steht gegenüber von Fernsehturm und Landesparlament. Direkt daneben liegt der Rheinhafen mit Medienmeile, Galerien, trendigen Bars, Designeroutlets und den chromglänzenden Gehry-Bauten. Clement schätzt dieses urbane Ambiente. Es verkörpert den Strukturwandel und die neue Zeit an Rhein und Ruhr besser als die vielen restaurierten Zechen und Stahlwerke, in denen am Wochenende bestenfalls noch Rockkonzerte oder Flohmärkte stattfinden.
Die ehrwürdige Villa Horion, nur 500 Meter entfernt, findet der moderne Macher zu altbacken. Hier haben vor ihm zwar fast alle Ministerpräsidenten des Landes residiert, aber diese Art traditioneller Beständigkeit ist Clement fremd. Die neoklassizistische Architektur des Palais, das der Landeshauptmann der Rheinprovinz Johannes Horion 1911 erbauen ließ, strahlt dem neuen Chef einfach zu viel Vergangenheit aus. Außerdem stört es Clement, dass der alte Regierungssitz im baulichen Schatten des benachbarten Mannesmann-Hochhauses steht, in dem heute die Deutschlandzentrale des Telefonriesen Vodafone untergebracht ist. Clement ist kein Typ, der sich versteckt. Er residiert lieber hoch oben im Glaspalast in einem nüchternen Designerbüro mit bodentiefer Fensterfront und einem weiten Blick über den Rhein und die Stadt.
Als Peer Steinbrück im Herbst 1998 Kiel verlässt und zurück nach Düsseldorf kommt, besucht er schnell noch einmal seine frühere Wirkungsstätte in der alten Staatskanzlei. Der Umzug von der Villa Horion in das gläserne Stadttor ist bereits in Vorbereitung, doch noch sind die Spuren von Johannes Rau in den vertrauten Räumlichkeiten am Mannesmannufer zu erkennen. Vier Jahre lang diente Steinbrück dem alten Landesvater hier als Büroleiter. Die Möbel stehen noch da, nur die Bilder wurden ausgetauscht.
Mit Clement hat ein neuer Regierungsstil Einzug gehalten in NRW, wie das Land kurz und knapp genannt wird. Der gelernte Journalist und ehemalige Parteisprecher ist ein ungeduldiger Mann. Er verbirgt seine Meinung höchst ungern hinter schönen Worten und sozialdemokratischen Floskeln. Lieber spricht er in schnörkelloser Offenheit aus, was Sache ist. Damit eckt er bei den Genossen an, was Clement nicht weiter stört. Er weiß, dass seine direkte Art wenig Anklang findet in der gefühligen, sozialromantischen Ruhrgebiets-SPD. Die Ungeduld des
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