Steine der Macht 2 - Die Zeitkorridore im Untersberg
noch etwas bringen.
»Ich habe Ihnen schon vor einiger Zeit versprochen, Sie den Klosterbitter vom Benediktinerstift Ettal kosten zu lassen. Wir haben uns damals, als wir in Oberammergau waren, noch einige Fässer aus der Abtei mitgenommen.
Holzfässer waren für den Transport besser geeignet als zerbrechliche Glasflaschen.«
Bei diesen Worten des Generals überreichte der Uniformierte Wolf ein kleines Eichenfässchen.
»Da sind gut drei Liter drinnen, sagen Sie mir nächstes Mal, wie er Ihnen geschmeckt hat.«
Wolf staunte nicht schlecht, als er das völlig neu aussehende Eichenfass in den Händen hielt. »Benediktinerstift Ettal – Klosterbitter 45 % – Jahrg. 1936«, stand in eingebrannter Schrift auf dem Fass. Der SS-Mann in der schwarzen Uniform ging wieder zurück in den beleuchteten Gang und wurde plötzlich durchscheinend, bis er in einer Entfernung von nicht einmal zehn Metern vor Wolfs entsetzten Augen verschwand. Der General bemerkte Wolfs Gesichtsausdruck und erklärte: »Ja, wie Sie gerade selber sehen, unterliegt der Zeitablauf sogar innerhalb unserer Station gewissen Schwankungen. Dort hinten, da wo der Mann verschwunden ist, vergeht die Zeit noch etwas langsamer als hier, wo wir jetzt gerade stehen. Jegliche organische Materie wird dadurch von unserem Standpunkt aus sozusagen unsichtbar. Aber eben nur für uns, von diesem Platz aus gesehen. Der Mann selber merkt natürlich nichts davon und wir sind daran gewöhnt.«
Der General rief nochmals nach dem Uniformierten, als dieser wieder zurückkam.
»Ich habe da noch etwas für Sie. Weil Sie uns schon mehrmals Zeitschriften gebracht haben, möchte ich mich revanchieren und Sie bekommen diesmal welche von mir.
So etwas dürfte in Ihrer Zeit eine absolute Rarität sein.
Das waren die letzten drei Tageszeitungen aus der Außenwelt.«
Er gab Wolf die drei Zeitungen in die Hand. »Die ersten zwei, vom vierundzwanzigsten und vom sechsundzwanzigsten April 1945, sind aus Tegernsee.
Die habe ich am Weg von Garmisch-Partenkirchen nach Salzburg besorgen lassen. Wir nahmen damals nicht den direkten Weg zur Reichsautobahn in Richtung Salzburg.
Die Amerikaner waren bereits südwestlich von München in der Nähe des Starnberger Sees. Da wir kein Risiko eingehen und zudem auch eine falsche Fährte legen wollten, fuhren wir die abgelegene Straße in Richtung Tiroler Grenze. Aber dann ging es entlang der Berge weiter bis Wildbad Kreuth. Von dort fuhren wir über die Ortschaft Tegernsee nach Miesbach, wo wir die Dunkelheit abwarteten. Am Irschenberg kamen wir in der Nacht zur Autobahn und weiter Richtung Salzburg. So brauchten wir auch vor den Tieffliegern der Alliierten keine Angst zu haben.
In der zweiten Zeitung, vom sechsundzwanzigsten April, können Sie übrigens den Angriff der britischen LancesterBomber auf das Führerhauptquartier am Obersalzberg nachlesen. Das geschah am fünfundzwanzigsten April. Sie haben es jetzt sozusagen schwarz auf weiß aus erster Hand.
Die dritte Zeitung wurde dann hier in Österreich beschafft. Sie ist vom ersten Mai 1945. Da steht auch schon die Todesnachricht vom Führer drinnen. Adolf Hitler hatte sich ja bekanntlich am dreißigsten April in Berlin das Leben genommen.«
Wolf schaute auf die Zeitungen, die waren keine drei Monate alt und doch schon fast siebzig Jahre!
»Hier, nehmen Sie noch diese zwei Schachteln Zigaretten. R6, die rauchen meine Männer gerne.«
Wolf stellte das Eichenfass auf den Boden und sah auf die absolut neu aussehenden Zigarettenschachteln. Auf der weißen Banderole waren der Reichsadler und das Hakenkreuz im Tiefdruck eingeprägt. »Ernte 1939« stand auf der Rückseite der Schachteln.
Obersturmbannführer Weber kam mit einem zusammengefalteten neuen Jutesack.
»Damit Sie das alles tragen können!«, meinte er lachend und half Wolf, die Geschenke des Generals in dem Sack zu verstauen.
Auf dem nagelneuen Sack war eine große, schwarze Aufschrift »Deutsche Feldpost« und zwischen den beiden Worten war wieder der Reichsadler mit dem Hakenkreuz zu sehen.
Das alles war ziemlich viel für Wolf. Er blickte auf seine Armbanduhr. Es war genau neunzehn Uhr. Folglich konnte sein Aufenthalt hier im Berg nur zirka zwanzig Minuten gedauert haben. Eine Frage musste er aber unbedingt noch loswerden: »Wo haben Sie eigentlich den Generator für den Strom? Man hört kein Brummen und es riecht auch nirgendwo nach Diesel.«
»Ich muss Sie enttäuschen«, erwiderte der General, »da gibt es keinen Generator
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