Steine der Macht - Band 4
der Nacht könnten in dieser Höhe recht tief sinken, meinte der Mann. Mir blieb ohnehin keine Wahl und ich folgte dem Fremden, den ich für einen Mönch hielt. Nicht weit von der Stelle, an der ich nicht mehr weitergewusst hatte, gelangten wir zu einer unscheinbaren Türe an einer Felswand, die der Kapuzenmann öffnete und mich in den dahinterliegenden Gang bat. Ich folgte ihm und wir kamen in ein niedriges Gewölbe, in welchem sich ein Tisch mit Stühlen befand. Es war ausreichend hell in dem Raum, eine Beleuchtungsquelle war aber nirgends zu sehen. Auf dem Tisch standen ein Teller mit Brot und Käse sowie ein Krug mit frischem Wasser.
Der Mann bedeutete mir, mich hinzusetzen und zuzugreifen. Ich ließ es mir schmecken und fragte den Mönch, wo wir hier eigentlich seien. Anstatt mir eine Antwort auf meine Frage zu geben, sprach er zu mir:
„Sie werden gleich wieder nach draußen gehen können, jetzt ist das Wetter wieder schön geworden.“ Ich wunderte mich, war ich doch erst vor kurzer Zeit hier hereingekommen – und nun sollte sich der Nebel schon verzogen haben?
Der Mönch schaute mich durchdringend an. „Sie werden, wenn Sie nach draußen kommen, bereits seit vielen Tagen vermisst worden sein. Aber es war die einzige Möglichkeit, Sie vor dem sicheren Tod zu bewahren. Den Wettersturz hätten sie nicht überlebt. Sagen Sie einfach, wenn man Sie finden wird, dass Sie sich von Föhrennadeln und Wasser aus den Bächen ernährt hätten. Anderenfalls würde man Sie für verrückt halten.“ Nach diesen Worten öffnete er wieder die Türe und gleißender Sonnenschein fiel herein. Draußen war tatsächlich wieder strahlendes Wetter und außerdem war es Vormittag, wie ich am Stand der Sonne feststellen konnte. Der Kuttenträger begleitete mich bis zu einer Stelle, von der ich, wie er sagte, sicher ins Tal absteigen könnte.
Kurz danach begegnete ich auch schon den Bergrettungsleuten, welche die Hoffnung, mich noch lebend zu finden, bereits aufgegeben hatten. Ihre Freude, mich unversehrt aufzufinden, war groß und sie begleiteten mich dann auch bis ins Tal hinunter.“
Der Wirt hielt für einen Moment inne, um einen Schluck aus seinem Bierglas zu machen.
„Bei dieser Suche wäre mein Vater damals beinahe abgestürzt und tödlich verunglückt. Es war der zwölfte Tag der groß angelegten Suche nach der Frau. Niemand glaubte mehr daran, dass diese noch lebend geborgen werden konnte. Mehrere Tage und vor allem Nächte ohne spezielle Ausrüstung am Berg zu überleben und noch dazu bei schlechtem Wetter, das war so gut wie unmöglich. Da erblickte er ein Stück oberhalb die Frau. Er war so froh, die Gesuchte plötzlich entdeckt zu haben, dass er im steilen Gelände über eine meterbreite Felsrinne hinüberspringen wollte. Drüben war ein Felssporn, an dem er, wie er glaubte, Halt finden würde. Dem war aber nicht so, denn als mein Vater hinübersprang und sich an dem Felsspitz festhielt, gab dieser nach. Der Felsbrocken stürzte die steile Rinne fünfzig Meter polternd in die Tiefe. Im allerletzten Moment konnte mein Vater einen Ast ergreifen, an dem er sich gottlob festhalten konnte. Seine rasch herbeigeeilten Kameraden von der Bergwacht konnten ihn halten und wieder zurückziehen. Die Frau wurde ebenfalls sicher zu Tal geleitet. Trotz der Warnung des Mönches, den wahren Ablauf der Geschichte nicht zu erzählen, teilte sie beim Abstieg das Erlebte zumindest den Männern der Bergrettung mit. Im Tal angekommen, wurde aber von allen Beteiligten vereinbart, dass nur noch die Version mit den Föhrennadeln und dem Wasser aus dem Bach berichtet werden sollte.“
„Das kann ich mir denken“, sagte Wolf, „die Männer der Bergwacht wären bestimmt zum Gespött der Leute geworden, wenn sie die Geschichte, so wie sie war, weiter erzählt hätten.“
„Ja, und deshalb wird auch heute noch in unserer Gegend behauptet, dass man mit Legföhrennadeln und Wasser überleben kann“, lächelte Friedl.
„Das könnte ich mir bei ihm nicht so ganz vorstellen“, antwortete Linda grinsend und deutete dabei auf Wolf, „denn um seinen Appetit zu stillen, da müssten schon ganze Äste herhalten und …“, sie schaute dabei fragend den Wirt an, „die Legföhren stehen doch unter Naturschutz?“
Friedl der Wirt musste lachen. Er griff zu seiner Gitarre und spielte einige volkstümliche Weisen, zu denen er mit kraftvoller Stimme sang.
Dabei verstummten sämtliche Tischgespräche in der Zirbenstube und nach jedem einzelnen Lied
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