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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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Projektbetreibern und Repräsentanten war eine echte, tiefe
Wut entstanden, eine Wut weniger gegenüber den Menschen als dem Bahnhof. Sie
fragten sich in der altbekannten Weise: Was hat dieser Bahnhof, was wir nicht
haben? Nun, einer der Demonstranten hatte es auf den Bauzaun geschrieben: Charakter. Das stimmte zweifellos, und so war es nur schwer zu ertragen,
gegenüber einem Gebäude benachteiligt zu sein, im Verdacht zu stehen, sehr viel
weniger Charisma und Intelligenz zu besitzen als eine harmonisch zusammengefügte
Masse unbelebter Steine. Der Bahnhof zog immer mehr die Liebe der Menschen von
den Politikern ab, welche von den Bürgern - so zumindest das Gerücht - trotz
allem, was sie tun oder nicht tun, geliebt werden wollen. Politiker sind auch
Kinder.
    Ohne es eigentlich geplant zu haben, war Rosenblüt sehr
nahe an die Absperrung geraten, hinter welcher die Reihen von Polizisten eine
Mauer bildeten. Und zwar vor dem berühmt gewordenen Bauzaun, den die Menschen
in den vergangenen Wochen mit Kommentaren, Plakaten und Grafiken vollgeklebt
hatten, woraus zunächst ein ungeplantes, dann gewolltes Stück Kunst entstanden
war. Mancher ahnte, daß dieses Ding, dieses "Volksstück", irgendwann
im Museum landen würde. Aber noch lag die Kunst im Staubregen.
    Mit einem Mal steigerte sich die allgemeine Erregung, denn
an einer Stelle versuchten Demonstranten, die Absperrung zu durchbrechen.
Augenblicklich stellte sich ihnen ein Polizeiblock massiv entgegen, Druck
folgte auf Gegendruck, die Körper der einen wie der anderen Seite schwangen hin
und her. Bei aller Wut und Angst und Feindschaft hatte es auch etwas
Gymnastisches, gleich Tanzpartnern, die eigentlich ein gutes Paar abgeben
würden, könnten sie sich einigen, wer hier die Führung übernimmt.
    Rasch beugte sich Rosenblüt nach unten und nahm Kepler auf
den Arm. So waren die beiden sich jetzt ihrerseits ganz nah, Mund an Schnauze,
ebenfalls ein Paar abgebend, aber ein wirklich gutes. So daß für einen
Sekundenbruchteil dieser zärtliche Anblick von Kommissar & Hund die Welt
dominierte. Eine Viertelsekunde Ruhe & Frieden, selbst der Staub hielt
inne. Hernach war alles beim alten.
    Es gab noch einiges Gerangel, in dessen Folge die Polizei
zwei Stadträte festnahm, so, als sei man im Krieg und beabsichtige die gegnerische
Gruppe zu schwächen, indem man ihre Anführer unschädlich macht. In jedem Fall
versuchte die Menge nicht wieder, über die Absperrung zu steigen, blieb aber
ganz dicht an den Gittern. Und so, wie die Polizei mit ihren auf Stangen
hochmontierten Kameras die Demonstranten filmte, filmten und fotografierten
auch diese die Polizei - somit erneut den Eindruck bestätigend, es handle sich
hier um ein "uneiniges Paar".
    Während Rosenblüt da seinen Hund in den Armen hielt und
ein Teil der nur noch leicht wogenden Masse war, bemerkte er in einiger Entfernung
das etwas rundliche, mit einer eckigen Brille ausgestattete Gesicht Cadys. Auch
er steckte weit vorne in der Menschenmenge fest, den Mund geschlossen, die Arme
dicht am Körper, während ja nicht wenige brüllten und schrien und dabei ihre
Hände nach oben rissen. Dennoch erkannte Rosenblüt selbst auf die Entfernung hin
die tiefe Verachtung, die Cady für diese Polizeimenschen empfand. Schämt
euch! Dieser Satz markierte seine Züge.
    Nach und nach beruhigte sich die Lage. Aus dem Hintergrund
ertönte die Stimme eines weiteren Redners, die Masse lockerte sich auf.
Rosenblüt sah, wie Cady sich aus der Menge löste und Richtung Nordeingang
bewegte. Er folgte ihm, weiterhin Kepler tragend, da Cady jetzt zu rasch
unterwegs war, als daß der ohnehin erschöpfte Hund hätte mithalten können.
    Cady begab sich in die stark belebte Unterführung und
gelangte über die Rolltreppe zur Stadtbahnstation. Er stieg in jene Linie, die
hinauf in den Westen der Stadt führte, Rosenblüt hinterher. Er war froh, Kepler
abstellen zu können, nicht auf den Boden, sondern auf die Sitzbank, was aber
eher aus Gedankenlosigkeit geschah.
    Vor Rosenblüt baute sich ein Mann auf. Er mußte gar nicht
sagen, was er war und was er hier tat. Er besaß das typische Aussehen der
meisten Kontrolleure, die aus Gründen, die einem niemand erklären kann, immer
versoffen aussehen müssen, als sei dies Teil ihrer Tarnung. War es
wahrscheinlich auch.
    "Also, zuerst mal runter mit dem Hund, aber schnell",
befahl der grobe Mensch, "oder was glauben Sie, wo wir hier sind? Beim
Hundefrisör?"
    Rosenblüt tat wie geheißen, denn Cady

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