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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Löwen weinen
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Projektbefürworter von S 21
gerne damit warben, dafür nur noch knapp zwei Stunden zu benötigen, wenn
irgendwann der neue Bahnhof und irgendwie die neue Strecke fertig sein würden.
Doch bezeichnend - bezeichnend für eine verkehrte Welt - war der Umstand, daß
man noch fünfzehn Jahre zuvor, also 1995,
auf dieser Strecke kommode zwei Stunden und eine Minute unterwegs gewesen war,
bevor dann die Deutsche Bahn ihren geplanten Börsengang vorbereitet und damit
begonnen hatte, die Pflege der Gleisanlagen folgerichtig zu vernachlässigen.
Ohne sich viel darum zu kümmern, wie viele Minuten man wohin brauchte.
    Es war nun bei aller kompositorischen Zufälligkeit überaus
passend, daß Teska Landau exakt die 1995er-Zeit beanspruchte, um den Ort zu
erreichen, an dem sie den Kommissar zu finden hoffte, daß sie also weder
weitere fünfundzwanzig Minuten draufsetzte, noch eine in ferner, wenn nicht
fernster Zukunft gelegene Beschleunigung ins Feld führte und sich derweilen ein
wenig eingrub. Nein, sie hielt ihre
Gleise in Schuß. - Nachdem nämlich Rosenblüt nicht zum vereinbarten Treffpunkt
erschienen und auch telefonisch nicht erreichbar gewesen war, hatte sie
augenblicklich reagiert. Das war nun eben ihre Art: nicht ewig abzuwarten,
lieber eine Komplikation zu vermuten und sich im Zuge schnellen Handelns
vielleicht mal zu irren, lieber als übereifrig abgestempelt zu werden, als sich
später eingestehen zu müssen, viel zu lange gezögert zu haben.
    Darum hatte sie nur kurz überlegt und sodann eine "Fahndung"
nach dem Kollegen Rosenblüt herausgegeben. Wobei sie der Vollständigkeit
halber auch erwähnte, daß der Kommissar mit einem Hund unterwegs sei, einem
Hund, den sie mit "untersetzt, dackelartig, allerdings
Schäferhundschnauze, dazu lange Ohren" beschrieb. Und so kam es, daß eine
der Polizeistreifen nicht etwa auf Rosenblüt gestoßen war, sondern auf dessen "besten
Freund", woraufhin die Meldung einging, man habe vor einem Wohnhaus einen
herrenlosen, unbeweglich auf dem Gehweg sitzenden Mischlingsrüden entdeckt,
auf den allen Ernstes die Beschreibung passe.
    Landau kannte ja nun Keplers Art, - verfallen in einen
meditativen Zustand - auf Bürgersteigen und in unteren Stockwerken zu verharren.
Sie wies die beiden Kollegen an, bei dem Tier zu bleiben und machte sich
sogleich auf den Weg.
    Nachdem sie eingetroffen war, beugte sie sich zu Kepler
hinunter. Nicht, weil sie vorhatte, ihm irgendein Signal, ein Zeichen zu entlocken,
gar zu hoffen, er würde im Sinn eines Deus ex machina zu reden anfangen oder
wenigstens mit einem Stück Kreide in der Pfote etwas auf den Asphalt zeichnen.
Kepler war ja kein dressierter Affe. Es war Zeichen genug, daß er hier saß und
wartete, nicht etwa zur Seite oder zum Boden schaute, sondern zielgenau die
offene Haustüre anvisierte.
    Der Richtung dieses Blicks folgend, sagte Landau zu den
beiden Uniformierten: "Kommen Sie!" Und betrat das Haus.
    Dort suchte sie nach einem Hinweis auf Rosenblüt. Im zweiten
Stockwerk stieß sie auf einen solchen. Zumindest war der Umstand einer
angelehnten Türe dazu angetan, Verdacht zu schöpfen. Hinzu kam, daß hier
absolut nichts zu hören war, was eine zum Aufbruch bereite oder in der Ankunft
befindliche Familie verraten hätte. "Ziehen Sie mal Ihre Waffen",
wies Landau die Kollegen an, die hinter ihr standen.
    "Wegen einer angelehnten Tür?" fragte der eine. "Tun
Sie es einfach."
    Die beiden zuckten mit den Schultern und taten es einfach.
So gelangte Teska im Schutze der zwei Uniformierten in die Wohnung, ohne daß
man sich freilich in geduckter Haltung von Zimmer zu Zimmer bewegt hätte. Man
war wachsam, das schon, blieb jedoch aufrecht.
    "Da ist niemand", sagte der eine Beamte, nachdem
er den letzten Raum erreicht hatte, steckte seine Waffe wieder ein und verließ
das Arbeitszimmer. Das Zimmer mit der Tapete, den äußerst schmalen, nußbraunen,
jägergrünen und dottergelben Streifen, die anzusehen ein wenig in den Augen
schmerzte. Er fragte: "Wen suchen wir überhaupt?"
    "Den Herrn zum Hund", antwortete Landau und
begab sich ihrerseits in den gestreiften Raum, und zwar, man erinnere sich,
genau zwei Stunden und eine Minute nach Rosenblüt. Jene Bahnreisende hingegen,
die im gleichen Moment, da es Rosenblüt schwarz vor den Augen geworden war,
nach München aufgebrochen waren, nun, die waren noch immer nicht am Ziel.
    So wie zuvor Rosenblüt, stand jetzt Teska Landau im Raum
und hatte das Gefühl, daß da etwas war, genauer: daß da etwas

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