Steinfest, Heinrich
saß nur zwei Reihen
weiter, schräg gegenüber, und hätte somit leicht auf die Szene aufmerksam
werden können.
"So, und jetzt Ihren Fahrschein", verlangte der
Kontrolleur und erweiterte ein wenig seine Breitbeinigkeit. Auch sein schöner,
runder Bauch schien ein Stück mitzuwachsen.
Rosenblüt blies durch die Nase, holte seinen
Polizeiausweis aus der Tasche, den er aber nicht hochhielt, sondern gleich
einem Gedichtband über seinem Schoß öffnete. Dabei blickte er in einer Weise
zu dem Mann hoch, die klar machte, daß dieser doch bitte schön woanders sein
Glück versuchen möge. Er, Rosenblüt, sei im Dienst.
Dennoch fragte der Mann, und zwar viel zu laut: "Sind
Sie im Dienst?"
"Mein Gott", spottete Rosenblüt, "Sie sind
ja ein richtiger Schlaumeier."
"Aber der Hund da, der ist doch wohl nicht im Dienst",
bellte der Kontrolleur und verlangte nun allen Ernstes, einen gültigen Fahrschein
für Kepler zu sehen. Möglicherweise gefiel es ihm gar nicht, daß Rosenblüts
Legitimation ihn als Beamten der Münchner Polizei auswies.
"Sagen Sie", sprach Rosenblüt gedämpft, "soweit
ich weiß, brauchen in Stuttgart Polizeihunde kein Ticket, oder?"
"Soll das ein
Polizeihund sein, he?"
"Mein lieber Freund, Ihre Hirnleistung reicht bei
weitem nicht aus, sich beamtete Vierbeiner jenseits von deutschen Schießhunden
vorzustellen." Dann beugte sich Rosenblüt näher zu dem Mann hin und erklärte
in noch gedämpfterem Ton: "Hör zu, du stinkst, und du bist penetrant.
Vertschüss dich, aber schnell, sonst hat das Folgen." Und damit der Mann
ihn auch wirklich verstand, wurde Rosenblüt wieder schwäbisch: "Lauf dei
Schdregg, du Halbdaggl!"
Der Halbdackel wankte einen Moment. Das heißt, er wankte
zwischen Ohnmacht und Wutausbruch. Aber offensichtlich war er nun doch zu
einer Hirnleistung imstande, jener nämlich, sich nicht mit einem
Kriminalkommissar anzulegen, auch wenn der aus dem verfeindeten München
stammte. Es gab wirklich bessere Opfer. - Der Kontrolleur zog seinen Kopf ein
und setzte sich in Bewegung.
Einen Augenblick fürchtete Rosenblüt, daß nun Cady an der
Reihe war, in Schwierigkeiten zu geraten. Doch dieser war natürlich nicht so
dumm, ohne Fahrschein den öffentlichen Verkehr in Anspruch zu nehmen und
dadurch auf sich aufmerksam zu machen.
Kurz nach dieser Episode stieg Cady aus. Rosenblüt tat es
ihm gleich und setzte Kepler wieder mit den vier Füßen voran auf der Straße ab,
auch weil er sah, wie Cady eine Bäckerei betrat. Rosenblüt wartete in der Art
derer, die ihren Hunden Zeit geben, einen geeigneten Platz fürs "Geschäft"
zu finden, selbst wenn Kepler einen solchen Platz gar nicht suchte. - Wenn er
seine Notdurft erledigte, dann in stilleren Ecken, abseits der Passanten.
Kepler war verständlicherweise nicht im geringsten daran interessiert, sich als
öffentlicher Brunzer zu betätigen.
Cady verließ mit einer gefüllten Papiertüte die Bäckerei,
folgte dem Lauf der Straße, bog links ab, passierte noch drei, vier Gebäude und
betrat zuletzt das offene Treppenhaus eines Baus aus der Gründerzeit. Im Gang
standen Männer und strichen die Wände. An ihnen vorbei eilte jetzt auch
Rosenblüt, um zu sehen oder wenigstens zu hören, in welche Wohnung sich Cady
begab. Er konnte gerade noch das Geräusch einer ins Schloß fallenden Türe
lokalisieren. So eine alte Türe, die richtig stöhnen konnte. Zweiter Stock.
Rosenblüt nahm die akustische Spur auf.
Kepler war einmal mehr draußen geblieben. Er hatte den
raschen Schritten Rosenblüts nicht folgen können und war nun im Sinne einer
bereits gefestigten Tradition direkt vor dem Haus stehen geblieben, um seine
gewohnte Parkposition einzunehmen. Da saß er und würde sitzen bleiben, bis man
ihn holte.
Währenddessen erreichte Rosenblüt die Türe zu der Wohnung,
von der er meinte, Cady sei darin verschwunden. Er fragte sich, was er tun
solle: Landau oder Doktor Thiel anrufen und eine Beschattung in Auftrag geben?
Nur weil dieser Mann einen kleinen Text vor der Villa Reitzenstein abgelegt
hatte? Ja, einen merkwürdigen Text, das schon, aber ... Rosenblüt überlegte,
einfach mal anzuläuten und sich mit diesem Herrn Tobik - denn das war der
Name, der auf dem Türschild stand - zu unterhalten. Das tat er nun auch,
drückte den Klingelknopf, wartete. Wartete und horchte. Doch da waren keine
sich nähernden Schritte zu vernehmen, nichts. Er klingelte erneut, klopfte
mehrmals gegen die Türe. Mit dem gleichen Resultat. Blieb noch die
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